Respekt & Vielfalt

Blaue Eier und ein Frühstück im Park

Es ist Anfang Oktober und recht windig; nicht gerade die besten Voraussetzungen, um draußen zu essen und zu trinken. Selbst der imposante Flakturm bietet nicht genug Schutz vor dem Wind. Trotzdem genießen viele der Gäste sogar schon ihren zweiten Becher Kaffee. Da kommt einer der Gäste mit noch verpackten Kiwibeeren in der Hand auf uns zu und drückt sie uns in die Hand. „Die schau’n zwar liab aus, aber ich brauch’s ned.“ Wir zögern klarerweise und wissen nicht so recht – wir sind ja eigentlich nicht hier, um etwas mitzunehmen. Schließlich nehmen wir sie dann trotzdem an, weil der Mann nicht locker lässt. Er will sie nicht essen, weil ja, sie schauen zwar lieb aus, aber es gibt genug anderes gutes Essen vor Ort. Vor allem Eier.

Es ist 6 Uhr morgens – der Wecker klingelt heute etwas früher als sonst. Der Grund: wir sind zum 50. Frühstück im Park eingeladen. Jeden Mittwoch von 7:30 bis 10:00 Uhr stellt eine Privatinitiative von Ehrenamtlichen ein Frühstück im Esterházypark direkt hinter dem Haus des Meeres bereit. Die Gäste sind obdachlose Menschen oder andere, die sich in extremen Lebenssituationen befinden. Das Frühstück ist offen für alle, niemand wird weggeschickt und alle sind willkommen.

Damit das Frühstück auch pünktlich bereitsteht, treffen sich die ersten Helfer*innen um 7 Uhr früh im mexikanischen Restaurant ‚Al Chile‘ in der Gumpendorferstraße – nicht weit vom Esterházypark entfernt, das dem Projekt vorübergehend einen Raum als Lager zur Verfügung stellt. Obwohl wir um Punkt 7 Uhr vor Ort sind, sind wir die Letzten, die dort eintreffen. Im ‚Al Chile‘ herrscht reges Treiben. Die fünf Helfer*innen haben schon die meisten Lebensmittel in Einkaufswägen und Taschen zusammengepackt und sind bereit, alles in den Park zu bringen. Wir werden herzlich empfangen und gleich eingeladen, mitanzupacken. Klar, machen wir.

Frühe Aufbruchstimmung im Restaurant Al Chile. |
Credits: Martin Moser

Am Weg in den Park ergibt sich die erste Gelegenheit, mehr über das Projekt zu erfahren. Fiona Rukschcio, die Initiatorin von Frühstück im Park, hat das Projekt am 24. Oktober 2018 ins Leben gerufen. Inspiriert wurde sie unter anderem von einer Shades-Tours, an der sie zuvor teilgenommen hatte und sie zum Nachdenken anregte. Als Fiona erfuhr, dass obdachlose Menschen in den Morgenstunden aus ihren Schlafquartieren raus müssen, entstand bei ihr die Idee ein Frühstück im öffentlichen Raum anzubieten. Man sagt doch, dass das Frühstück die wichtigste Mahlzeit am Tag sei, oder? Sie erzählt, dass sie schon des Öfteren obdachlose Menschen auf einen Kaffee oder auf ein kleines Frühstück eingeladen hätte, sie jedoch nun das Bedürfnis hatte, diese Initiative zu erweitern. Seither findet das FIP wöchentlich im Esterházypark statt, an diesem Mittwoch bereits zum 50. Mal.

Gemeinsam am Weg zum Esterházypark. |
Credits: Martin Moser

Als wir dann kurz vor halb acht im Park ankommen, warten schon die ersten Gäste im Park. Mittlerweile hat sich das Frühstück herumgesprochen und zu den Stammgästen kommen immer wieder auch neue Gesichter. Paul*, ein junger Mann in schwarzen Jeans und einer Kapuze über dem Kopf, ist heute zufällig da. Eigentlich sucht er seinen Freund, der hier ab und zu schlafe, hat aber von FIP gehört und hat sich jetzt einen Kaffee und ein belegtes Brot geholt. Wir kommen ins Gespräch und wir reden darüber, wie es ihm geht und warum wir hier sind. Generell ist es leicht, mit den Gästen ins Gespräch zu kommen. Viele kennen sich untereinander und man fragt nach, wie es einem geht und redet über Gott und die Welt. Andere wiederum sind eher in sich gekehrt, holen sich was zum Essen und bedanken sich höflich.

Es ist ein politisches Moment, normalerweise sieht man obdachlose Menschen alleine und nie als Gruppe.

„Es ist ein politisches Moment“, so Fiona, „normalerweise sieht man obdachlose Menschen alleine und nie als Gruppe.“ Hier jedoch sind sie eine ganze Gruppe, werden sichtbar – das sendet ein Signal nach außen und zeigt die Wirklichkeit einer Stadt. Hier kommen die unterschiedlichsten Menschen zusammen. Einige der Helfer*innen sind Menschen, die früher selbst Extremsituationen erlebt haben. Einige von ihnen sind Geflüchtete, die jede Woche tatkräftig mithelfen und andere wiederum sind Pensionist*innen, die zu Hause eine warme Suppe zubereiten und mitnehmen. Man begegnet sich auf Augenhöhe. Die Helfer*innen sprechen von Gästen und nicht von Klient*innen – man will keine Hierarchien oder Almosen verteilen.

Der Andrang am frühen Morgen ist groß. |
Credits: Martin Moser

Das Bild wirkt fast schon harmonisch, wie ein Frühstück im Park eben. Doch wie fast überall, wo Menschen aufeinandertreffen kommt es ab und zu zu einem Herumgeeiere – fast schon im wahrsten Sinne des Wortes. Die Helfer*innen sind immer bemüht, neben frischem Obst, Gemüse, Gebäck und Joghurt auch immer Eier bereitzustellen. Eier sind nämlich im Leben der meisten Gäste eine Rarität – sowas bekommen sie sonst nicht. Und Eier sind auch der Grund für einen kurzen Konflikt: Ein Gast hat den Verdacht, dass ein Helfer Eier zurückgehalten hat und beschwert sich deswegen. Wie sich jedoch schnell herausstellt, hat der Helfer die Eier lediglich übersehen und nicht absichtlich versteckt.

Heute sind es ganz normale hart gekochte Eier, meist aber Eierspeisen oder Spiegeleier. Eier sind ein wichtiger Bestandteil des Frühstücks, einfach, weil es sie kaum an anderen Stellen gibt. Das mag ein Grund sein, warum Steffi* diese in Form von Wahlwerbung irrtümlich mit dem Logo einer rechtspopulistischen Partei ungefragt an Gäste verteilte. Seit einem Monat arbeitet die politisch aktive Steffi* nun im Team mit und spiegelt damit die Diversität der Gäste wider. Für uns war diese widersprüchliche und kurios anmutende Situation spannend: Seite an Seite mit Ahmad* und Ali*, zwei geflüchteten Menschen, gegen die von zwei Parteien eigentlich gehetzt wird. Ob es eine Änderung ihrer Einstellung bewirken könne fragen wir sie: „Sicher nicht“, meint Steffi*: „meine politische Einstellung hat nichts mit meiner sozialen Ader zu tun. Das wird sich auch nicht ändern.“

Idealer Platz für das Frühstück im Park im 6. Bezirk. Bei Regen wird unter das Vordach ausgewichen. |
Credits: Martin Moser

Bis zum Ende kommen und gehen zahlreiche Gäste. Dieses Mal kommen etwa 50 Personen und genießen das Frühstück. Laut Fiona sind es heute weniger Gäste als sonst. Das Essen scheint allen zu schmecken und die Gäste freuen sich an der Auswahl. Fiona freut sich und ist stolz darauf, dass FIP mit dem Wiener Gesundheitspreis 2019 ausgezeichnet worden ist. Die Mühe und das Engagement der freiwilligen Helfer*innen, die teilweise um 4 Uhr morgens aufstehen, um das Essen vorzubereiten, zahlen sich aus. 

FIP fand letzten Winter wöchentlich statt. Diesen Winter wird es anders werden: Frühstück im Park geht in die Winterpause. Das hat zwei Gründe: Zum einen sind dann die Winterquartiere für obdachlose Menschen schon offen. Und zum anderen braucht es Zeit, um das Projekt endlich auf stabile finanzielle Beine zu stellen. Bisher wurde FIP privat organisiert. Es gibt zwar Kooperationen mit Spar und Foodpoint, aber die Helfer*innen bezahlen oft die fehlenden Lebensmittel selbst.

Der großartige Einsatz von Fiona und ihren Helfer*innen stellt uns aber auch vor die Frage, wieso das überhaupt eine private Initiative sein muss. Wir verlassen den Esterházypark voller Begeisterung für die Initiative, dennoch bleibt ein bitterer Beigeschmack, den wir nicht ignorieren können. Wir denken zurück an das Gespräch mit Lisa*. Die 65-jährige Frau hat erst vor kurzem ihre Wohnung im 12. Bezirk verloren, da sie sich diese nicht mehr leisten konnte. Nun ist sie gezwungen auf der Straße zu schlafen.

Mit solchen Geschichten persönlich konfrontiert zu werden, gibt uns eine andere Sichtweise darauf, wie wichtig ein stabiler und ausgebauter Sozialstaat ist. Im Grunde kann es jedem*r von uns passieren, durch das System zu rutschen. Sei es durch persönliche Schicksalsschläge oder durch andere Umstände, wir alle können uns in der Situation wiederfinden, den Sozialstaat in Anspruch nehmen zu müssen. Nur ein ausgebauter Sozialstaat kann uns effektiv auffangen und dabei helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Und wenn der Sozialstaat uns doch nicht auffängt, dann sind es gerade Initiativen wie Frühstück im Park, die hier eingreifend wirken und Menschen ein Gefühl von Zusammenhalt geben.

*Namen sind redaktionell verändert worden.

  • Frisches Gebäck, Eier und Kaffee sind immer wieder gerne gesehen. Auch freiwillige Helfer*innen, die vor Ort mitanpacken, als auch zu Hause Essen zubereiten, sind stets willkommen. Einfach vorbeibringen oder vorbeikommen.
  • FIP geht nach dem 30.10.2019 in Winterpause.
  • Der Esterházypark ist nur ein Park von vielen. Es ist wünschenswert, dass so eine Initiative auch in anderen Parks gestartet wird. Fiona stellt gerne ihr Knowhow zur Verfügung.
    Email: fipesterhazypark@gmail.com

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