Die sogenannte „zweite Intifada“ 2004 gab den Kick in Evelyns Leben, so wie in meinem (und dem so vieler anderer Menschen in Österreich) der Sommer 2015. Das ist durchaus vergleichbar – Evelyn hatte viele Jahre in Israel gelebt, war dort in der „Peace Now“ Bewegung aktiv und war aus familiären Gründen nach Wien zurückgekommen, als in ihrer neu/alten Heimat der Teufel los war und sie beschloss, sie müsse ihrem eigenen Gefühl von Ohnmacht und Ausgeliefertsein, dem bloßen Zuschauenkönnen etwas Konkretes entgegensetzen – wenigstens für eine Handvoll Menschen eine reale Erfahrung von Luftholen, Verständigung, Angenommensein ermöglichen und ein Modell schaffen, in dem gutes Zusammenleben gezeigt werden kann.
Das sind dieselben Motive, die uns alle 2015 zu Helfer*innen gemacht haben – und ich denke mal, diese Motive treiben alle um, die sich engagieren und zusammen die vage und sich ständig verändernde Masse „Zivilgesellschaft“ bilden.
Jedenfalls hatte Evelyn „ihr Ding“ gefunden – und heuer, beim 17. Peacecamp, habe ich mich endlich aufgemacht und mir das selbst angeschaut – was ich schon viele Jahre vorhatte. Es hat unser Medienprojekt gebraucht, um mich ins Auto zu setzen – es hat also viele Vorteile, „Herausgeberin“ zu sein.
31 Kids hab ich kennengelernt – je 8 ungarische, israelisch-jüdische, israelisch-palästinensische und 7 österreichische Kids; nicht zu unterscheiden in ihrem Habitus und ihrer Lebendigkeit, in ihrem Aussehen schon gar nicht – fesch und jung und lebendig und unglaublich bei der Sache.
Ich kam gerade zur Outdoor Aktivität, wo alle zusammen im Garten eine Art Kontakt Improvisation machten und mit körpersprachlichen Mitteln ihre eigenen Grenzen kennenlernen und auch zu überwinden lernten. Die Outdoor Aktivität folgt als Auflockerung und Kontrast auf das morgendliche Pflichtprogramm der „large group“.
Großgruppen sind in der psychoanalytischen Psychotherapie gut eingeführte und nicht ganz leicht durchzuführende Settings, in denen das „freie Assoziieren“ der Gruppenmitglieder die unbewussten Strömungen im Gruppengeschehen ans Licht bringen sollen und alle gemeinsam daran lernen können, wo die ganze Gruppe gerade steht und welche unbewussten Konflikte sich gerade abbilden. Thomas Jung leitet diese Gruppe und beschränkt sich den Rest des Tages auf die Rolle des freundlichen Beobachters – damit er gut funktionieren kann, muss er möglichst neutral bleiben können.
An der Großgruppe und deren zentralen Stellenwert bei den peacecamps wird viel von Evelyns Ansatz bei ihrer konkreten Friedensarbeit deutlich. Einsicht in die eigenen unbewussten Phantasien, die eigene Abwehrstruktur, die eigenen Widerstände – das sind so einige der Eckpfeiler psychoanalytischer Arbeit, die ganz stark in das eingehen, was sich die Gründerin als Setting für peacecamp ausgedacht und im Laufe der vielen Jahren verfeinert und weiterentwickelt hat. Also wird in verschiedenen Settings erprobt, gespielt und immer wieder nachgedacht. Die „large group“ ist das anstrengendste tool dabei, weil es keine thematischen Vorgaben gibt, nur die Aufforderung: „sagt einfach alles, was euch gerade durch den Kopf geht.“ Das ist ganz schön verunsichernd am Anfang, try it out!
Aber sie ist auch nur ein Werkzeug unter vielen, die die Kids in diesen Tagen an sich selbst und miteinander erleben und erfahren.
Aber sie ist auch nur ein Werkzeug unter vielen, die die kids in diesen Tagen an sich selbst und miteinander erleben und erfahren.
Ich habe z.B. bei einem „Parlament“ zugeschaut: Problemlösung für alle oder nur für ein paar? Retten wir die Menschheit oder retten wir uns persönlich? Die Kids erproben diese Fragen, die uns jetzt angesichts der Klimakatastrophe auch beschäftigen. Die Superreichen machen sicher schon Pläne, wie sie sich und ihre Familien auf andere Planeten retten können oder wie sie die Alpen aufkaufen können. Während die sozialen und gesundheitlichen Folgen der Erderwärmung wie immer die Armen und Nicht-Privilegierten zu zahlen haben.
Die Hausleitung des Jungen Hotels Lackenhof bemüht sich wahnsinnig nett, die regionalen Küchen im Speiseplan zu berücksichtigen. So gab es zu Mittag ein mit Zimt und Kardamom gewürztes gebratenes Hendl und am Abend Falafel (was alle isrealischen Kids zu jubeln ließ! – Es geht nichts über home food, wenn man in der Fremde ist!).
Jede der Jugendgruppen wird von einer Lehrperson begleitet, die so quasi den Anker in der Erwachsenenwelt für zuhause bildet und bei allen Aktivitäten mitmacht und auch zum reflexiven Team gehört. Ich durfte an der Teambesprechung nach dem Mittagessen teilnehmen und fand es wirklich super, wie sich der „Staff“ um ein eingehendes Verständnis der Gesamtgruppe, aber auch der einzelnen Teilnehmer*innen bemüht. Wo stehen die Kids gerade? Was beschäftigt sie? Wer hat Schwierigkeiten und womit? Wie können wir steuern und ausgleichen? Es wird diskutiert, wie das Team die schüchterne und sehr zurückhaltende Art des einzigen Mädchens einschätzen soll, das einen Hijab trägt. Dieses Mädchen hat nicht nur damit eine besondere Note in den Prozess eingebracht. Sie lebt in Wien und stammt aus Syrien – eine solche selbst erfahrene Lebensgeschichte hat einen unmittelbaren Impact auf das ganze Gruppengeschehen (und natürlich auf das Mädchen zurück).
Die „Talks for Peace“ – eine bunte methodische Mischung aus Ausprobieren und Theorie Inputs geben- haben uns am Nachmittag auf den nahegelegenen Fußballplatz geführt, wo in Gruppenspielen erprobt wird, wie sich verschiedene Gruppen zusammensetzen und auch wieder verändern. Ein „world café“ hat dann anschließend wieder im Haus an 5 Tischen Themen bearbeitet: Engagement, Zivilgesellschaft, Ressourcen und Bedrohungen. Ein unglaubliches Arbeitsprogramm für einen Tag und ich kann den Kids nicht verübeln, dass sie gegen Ende der world cafe- Sitzung schon ziemlich k.o. waren und ihnen nicht mehr viel eingefallen ist. Mir auch nicht.
Damit aber nicht genug gibt es jeweils nach dem Abendessen noch einen „Culture evening“, bei dem jeweils eine Gruppe szenisch etwas aus ihrem regionalen/nationalen Leben, ihrer kulturellen Identität darstellt. Ich hab die palästinensisch-israelische Delegation „erwischt“, die die Bräuche rund um eine traditionelle Hochzeit in Palästina dargestellt hat und dabei sehr charmant alle anderen Teilnehmer*innen mit einbezogen und zum Tanzen gebracht hat. Die schönen traditionellen Kleider der jungen Frauen und der Lehrerin Hannan haben sie extra für diese „Show“ von zuhause mitgebracht.
Evelyn sagt mir, und ich kann das unmittelbar nachvollziehen, dass diese Culture Nights“ ganz wichtige Meilensteine für die jeweiligen Gruppen sind – es ist wichtig zu zeigen, wie man sich von den anderen Gruppen unterscheidet, was man als die eigene Tradition herzeigen möchte (womit man sich also positiv identifizieren kann) und was gleichzeitig eine Einladung an die anderen ist, das auch schön und bewundernswert zu finden.
Am 11.7.2019 findet die Friedensarbeit der jungen Leute im „Dschungel“ mit der „Show for Peace“ ihren Abschluss für heuer. Es wird eine Video Botschaft unseres Bundespräsidenten Alexander van der Bellen geben – welche Ehre und Freude für das Projekt!