Demokratie & Bürgerrechte

Buchbesprechung: „Nichts ist, wie es scheint“ von Michael Butter

Michael Butter ist Literaturprofessor in Tübingen und leitet ein großes Forschungsprojekt zu Verschwörungstheorien. Er hat also einen etwas anderen Blick auf die Thematik als Politikwissenschaftler. Ich finde, das merkt man – positiv. Ihn interessiert die Geschichte und die großen Entwicklungslinien dieses Phänomens, die es – wen überrascht das? – immer schon gegeben hat.

Allerdings haben Verschwörungstheorien Zyklen. In der Antike lassen sie sich lokal finden, verschwinden im Mittelalter und tauchen in der frühen Neuzeit wieder auf. Von da an sind sie anerkanntes Wissen, die Eliten wie auch das Volk glaubten an die Macht des Teufels und die Verhexung der Anhänger häretischer Glaubensauslegungen. Ab 1560 gibt es den Begriff der „Conspiratio“ und er wird „ein zunehmend wichtiges Element der politischen Sprache Europas“ (S. 147). Die aus heutiger Sicht absurden Vorstellungen finden sich unwidersprochen in der bürgerlichen Öffentlichkeit bis ins 20. Jahrhundert. Augenöffnend hier ein Zitat von Thomas Mann aus dem Jahr 1918 (!): „Die Geschichtsforschung wird lehren, welche Rolle das internationale Illuminatentum, die Freimaurer-Weltloge, unter Ausschluss der ahnungslosen Deutschen natürlich, bei der geistigen Vorbereitung und wirklichen Entfesselung des Weltkrieges (…) gespielt hat.“ (S.149) – Mainstream Kriegstreiberei verbindet sich mit Mainstream Verschwörungstheorie.

Erst nach dem Ersten Weltkrieg beginnt die Delegitimierung der Verschwörungstheorien. Karl Popper erfindet den Begriff und definiert den Konspirationismus als „ein typisches Ergebnis der Verweltlichung religiösen Aberglaubens“ (in „Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, hier S.142).

Butter beschreibt detailliert und einsichtig, wie die Verschwörungstheorien akademisch attackiert wurden, beginnend mit den bahnbrechenden Arbeiten der emigrierten Intellektuellen der Frankfurter Schule: „Der autoritäre Charakter“, „Prophets of Deceit“, „The Dynamics of Prejudice“. Richard Hofstadters „The paranoid style in American Politics“ von 1955, eine der meistzitierten sozialwissenschaftlichen Texte überhaupt, ist der Meilenstein bei der Delegitimierung der Kommunistenjagd in den 50ern, die auf der – zunächst noch Mainstream-Verschwörungstheorie beruhte, dass die amerikanische Gesellschaft systematisch von Kommunisten unterwandert wird. Mc Carthyismus hatte ausgedient.

Wer jetzt noch Verschwörungstheorien toll fand, musste sich außerhalb des Mainstreams organisieren, und das ist natürlich weiterhin passiert.

Aber selbst Trump kann, obwohl er eine so riesenhafte Anhängerschaft hat und knapp die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung zu seinen Wählern machen konnte, nicht mit der Anerkennung seiner abstrusen Ideen als zutreffend und richtig rechnen. Sein Populismus ist aus der Perspektive der gesellschaftlichen Übereinkunft über Wahrheit eine einzige Ansammlung von Lügen und Manipulationen. Wer heute Verschwörungstheorien oder Vermutungen (wie die, dass die Präsidentschaftswahlen gefälscht wurden) verbreitet und vertritt, kann zwar viele Leute dafür begeistern, aber nicht die Meinungshoheit erlangen.

Das ist eigentlich ein gutes Zeichen, oder nicht? Sie sind sichtbarer, sie werden schneller benannt und sie finden schneller breiten Widerspruch.

Der Mangel des sehr lesbaren Buches besteht allerdings für mich darin, dass Butter gar keine Versuche macht, die Entwicklungen der Verschwörungstheorien, also auch ihre Moden und ihr fallweises Verschwinden, als Auswirkungen sozialökonomischer Veränderungen zu begreifen.

Haben wir Ihr Interesse geweckt?

Michael Butter (2018): Nichts ist, wie es scheint – Über Verschwörungstheorien. Berlin: Suhrkamp Verlag

Das Buch ist entweder direkt beim Verlag oder in österreichischen Buchhandlungen zu erwerben.

Autor

Michael Butter, geboren 1977, lehrt Amerikanische Literatur- und Kulturgeschichte an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Er leitet ein europäisches Forschungsprojekt zu Verschwörungstheorien und ist in den Medien regelmäßig als Experte zum Thema präsent.

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