Respekt & Vielfalt

Das politische Buch: Rainer Mausfeld – ANGST UND MACHT

Rainer Mausfeld ist emeritierter Professor in Kiel für Wahrnehmungs- und Kognitionsforschung.

Fast hätte ich das Buch nach den ersten Seiten weggeworfen, weil der Titel schräg ist und das Bild des Autors mich an die Inszenierung der Gruppendynamikgurus der 80er erinnerte. Die ersten Absätze ähnelten im Stil Aktienanalysten, die mit völliger Sicherheit im Nachhinein schon immer alles gewusst haben. Auch einer der Fußballexperten auf Sky analysiert so. Zum Glück habe ich weitergelesen.

Das Buch ist lesenswert und besser geschrieben, als ich es anfangs gedacht hätte. Auch die ersten Absätze zu Angst klingen zuerst schräg, sind aber – zumindest für mich – so genau, dass ich sie nicht leicht kritisieren kann. „Das Potential zur Angst ist tief in unserem psychischen Gerüst angelegt. Angst gehört zu den Grunderfahrungen menschlicher Existenz. Angst ist ein zugleich psychischer und leiblicher Effekt, eine Bedrohung oder gar eine Erschütterung des gesamten Selbst.“ (S.9) Obwohl ich vom Schreibstil rote Linien der Lehrerinnen meiner Söhne erwarten würde.

Angst ist in Mausfelds Sicht ein zentraler Aspekt, um die aktuelle politische Situation zu verstehen. Eine seiner ersten Fragen ist, warum trotz viel sachlicher Verbesserungen der Sicherheit und der Lebensbedingungen in den letzten Jahrzehnten, die Angst in unseren Gesellschaften so weit verbreitet ist.

Er verortet ein Ansteigen von Angst ab den 70ern (leider ohne Beleg oder Studie) mit dem Stärkerwerden des Neoliberalismus. Dieser befördere Angst durch eine wachsende Zahl unsicherer und nicht mehr existenzsichernder Arbeitsverhältnisse (auch hier wieder ohne Zitat und Beleg, bei mir bleibt die Unsicherheit, ob es jetzt eben auch Bildungsschichten erreicht und in wie fern es tatsächlich zunimmt). Weiters erweckte der Neoliberalismus Angst, weil man sich sein eigenes Scheitern selbst zuzuschreiben hat. Drittens „durch einen Abbau und Zerstörung von traditionellen sozialen Instanzen, die eine angstreduzierende Funktion haben, indem sie Orientierung und gesellschaftliche Sicherheit vermitteln.“ S.11. Auch hier legt der Autor keine Belege vor, er beschreibt nicht einmal, was mit „Instanzen“ gemeint ist, und warum es Abbau und Zerstörung und nicht z.B. Zerfall oder Totlaufen ist. Die Tendenz junger Leute in die Stadt zu ziehen könnte auch als Flucht vor diesen Instanzen gesehen werden, aber damit befasst sich der Autor nicht.

Aber ab S.14 fesselte mich das Buch. Ab da beschrieb der Autor „Angsterzeugung als Herrschaftstechnik“, die er bis in die Antike zurückverführte. Und dann zwei Sätze, die für mich Vieles verständlicher machten: „Ein systematisches Erzeugen von gesellschaftlicher Angst entzieht der Demokratie die Grundlage, weil Angst eine angemessene gesellschaftliche Urteilsbildung blockiert und die entschluss- und Handlungsbereitschaft lähmt. … Autoritäre oder totalitäre Herrschaftsformen bedienen sich, im Unterschied zu demokratischen, offen einer systematischen Angsterzeugung und Einschüchterung der Bevölkerung.“ S.16

Später (S.22) führt er das Konzept der „Binnenangst“ ein, die eine Angst sei, die sich nicht auf ein tatsächliches existierendes, konkretes Objekt bezieht, und dadurch konkretes Handeln und Verarbeiten erschwert. „Ziel politischer Angsterzeugung … Wege zu finden, wie man Realängste in Binnenängste transformieren kann.“ Das passt für mich schlüssig zu Umfragen, in denen die AfD in Regionen, mit geringem Ausländeranteil, erfolgreich ist, in welchen sie gegen diese mobilisiert.
Auf S.26 nennt er drei Techniken der Angsterzeugung:

  1. Entformalisierung des Rechts durch systematische Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe“ – Vage Begriffe, wie „Standortsicherung“, würde wohl in diese Kategorie passen.
  2. Ideologie der Meritokratie – „unternehmerisches Selbst“, Verdienst als Leistung und dem Spiegelbild als selbstverschuldetes Scheitern.
  3. Propagandistische Erzeugung von vorgeblichen Bedrohungen. 

Die folgenden Seiten vertiefen diese Überlegungen und das Konzept der „Binnenangst“ und das Thema der „Angsterzeugung“ als politische Strategie, dies finde ich sehr erhellend.

Plötzlich auf S.42 wundere ich mich aber wieder: „Die heute als populistisch deklarierten politischen Erscheinungsformen lassen sich verstehen als eine Reaktion des Volkes auf die stete erlittene Verachtung durch die Eliten. Heftige Effekte, die aus der erfahrenen Verachtung resultieren, entladen sich nun mit politischer Wucht …“. Die Forschung von Götz Aly zu Gier und ökonomischen Aspekten derartiger Prozesse wird hier leider völlig ignoriert. Schade, dass hier es so seicht analysiert wird.

Dafür bringt S.47 wieder ein starkes Wort: „Diskursvermüllung“. Es gehe um „grundsätzlich die Befähigung zu blockieren oder zu zerstören, überhaupt irgendwelche Überzeugungen ausbilden zu können.“ Auch das scheint zum Teil einer Strategie vieler Rechtspopulisten zu sein.

In den Seiten danach geht es stärker um die Querverbindung zum Kapitalismus, die Dogmen des Neoliberalismus mit Marktglauben (S.78). Auf den Folgeseiten werden die Argumente nochmals wiederholt bzw. systematisiert. Wobei manche Zitate mir sehr unter die Haut gehen: „Dass die Armen nicht mehr als Klasse gelten, macht es leichter, sie als Einzelne zu hassen.

Danach sackt das Buch ab und erinnert stärker an Religion: „Ein wirksames zivilisatorisches Gegenmittel kann nur von unten kommen und muss von unserer Entschlossenheit und unserer unbeirrbaren Überzeugung geleitet sein, dass es keine Form gesellschaftlicher Macht geben darf, die nicht demokratisch legitimiert ist.“ S.102

Trotzdem ist es ein Buch mit wirklich erhellenden Einsichten insbesondere Analyse von Angst als Machtinstrument, auch wenn es in manchen Bereichen etwas seicht bleibt.

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