Demokratie & Bürgerrechte

Demokratische Institutionen verteidigen

Seit einiger Zeit gibt es eine außergewöhnlich wachsende Zahl von Büchern, die sich mit Demokratie und ihren (demokratischen) Montagemöglichkeiten auseinandersetzen. Ihre Titel sprechen eine deutliche Sprache: “Wie Demokratien sterben”, “Wenn Demokratien demokratisch untergehen”, “Nie wieder Diktatur! Unmerklich kann sie sich hereinschleichen…”.

Die Sorgen sind angebracht. Jede*r von uns sollte sich fragen, wie denn der eigene Beitrag – und auch Unterlassung ist ein Beitrag – für unser Gemeinwesen in solcher Zeit aussieht. Die meisten von jenen, die unsere Seiten von Respekt.net besuchen, tun das. Und sie handeln. Wir wissen aber auch, dass alles was wir tun im Rahmen eines Systems stattfindet und auch um dieses müssen wir uns ständig kümmern: seine Entwicklung beobachten, Abnützungserscheinungen und Schwachstellen erkennen, Stärken absichern und Anpassungen an neue Umstände kreieren. Timothy Snyder hat vor zwei Jahren ein kluges Büchlein für aufmerksame Menschen geschrieben, in dem er zwanzig Lektionen für den Widerstand formuliert. Eine lautet: “Verteidige Institutionen.” Am 29. September müssen wir die wichtigste verteidigen, das Parlament. Es geht um die Wahl von Abgeordneten, die sich nicht nur ihrem Gewissen, sondern auch dem Parlament als Ort der Entscheidungsfindung verantwortlich fühlen. Die erkennen, dass die Formel das Parlament bestimme, während das Volk entscheide, die Demokratie vergiftet und Antidemokraten in die Hände spielt.

Jede*r von uns sollte sich fragen, wie denn der eigene Beitrag - und auch Unterlassung ist ein Beitrag - für unser Gemeinwesen in solcher Zeit aussieht.

Die Größenordnungen der Parteien im Parlament sollen die Pluralität unserer Gesellschaft wiedergeben und so demokratische Willensbildung ermöglichen. Das gilt aber nicht nur für Gesetze, sondern auch für die Zusammensetzung von Institutionen und so hole ich im Sinne von Timothy Snyder die nächste Institution ins Blickfeld: den Verfassungsgerichtshof. Seine Struktur wurde bereits bei derdiedasRespekt.at beschrieben und ich möchte den Vorschlag, den Bestellungsvorgang zu verändern, deutlich unterstreichen. Neben Präsident*in und Vizepräsident*in schlägt derzeit die Bundesregierung weitere sechs Mitglieder vor, drei Mitglieder werden vom Nationalrat, drei vom Bundesrat beschickt. 

Um der gewachsenen Vielfalt im Parlament Rechnung zu tragen, sollten diese Zahlen verändert werden: Nur vier von der Bundesregierung, dafür vier von Nationalrat und vier von Bundesrat, mit jeweiliger Zweidrittel-Mehrheit. Nur ein solcher Vorgang gibt der Opposition die Chance, Mitglieder entsenden zu können und das scheint mir bei der Aufgabe des Verfassungsgerichtshofes unerlässlich zu sein. 

Selbstverständlich nämlich hat die Rechtsprechung des VfGH eine politische Funktion. In den Interpretationsspielraum, wie weit ein Gesetz unserer Verfassung entspricht oder nicht, fließen immer weltanschauliche Überlegungen mit ein, ebenso wie ein bestimmtes Staats- und Demokratieverständnis. Deshalb wenden sich ja auch im Parlament unterlege Parteien an den VfGH, um ein mit Mehrheit beschlossenes Gesetz wieder zu Fall zu bringen. Das war bei einer Wahlrechtsreform im Jahr 1970 so, bei der Fristenlösung 1973, bis in die jüngere Zeit, wo der Zugang zur Ehe für gleichgeschlechtliche Paare erwirkt oder das Rauchverbot in Lokalen erreicht werden sollte. Die Richterschaft im VfGH sollte nach meinem Demokratieverständnis nicht die Dominanz der Regierungsmehrheit  absichern, sondern in der Auslegung der Gesetze für Gleichgewicht und Ausgewogenheit sorgen. Ohne eine Reform des Bestellungsvorganges werden wir das allerdings kaum erreichen

Erwähnte Buchtipps

Diesen Artikel teilen

Facebook
Twitter
LinkedIn
WhatsApp
Email
Drucken