Demokratie & Bürgerrechte

Wahlrecht: Die Debatte dreht sich im Kreis

1,1 Millionen Menschen in Österreich dürfen bei der Nationalratswahl nicht wählen, weil sie die österreichische Staatsbürgerschaft nicht haben. In Wien sind es 458.000 Menschen. Das ist bereits jede*r dritte Wiener*in im wahlfähigen Alter. Das ist viel. Und darüber müssten wir reden. 

Das mit dem Reden scheint aber nicht so einfach. Weil letztens der ORF drei Minuten über Betroffene berichtete, ortete ein ÖVP-Politiker prompt einen Angriff des Senders auf das Staatsbürgerrecht. Als Dirk Stermann auf 30 Zeilen in der Tageszeitung „Heute“ erzählte, wie es ihm geht, weil er seit 32 Jahren in Wien lebt und nur symbolisch bei der Pass-Egal-Wahl mitwählen darf, fühlte sich die FPÖ zu einer Kampagne gegen das Ausländerwahlrecht bemüßigt. Im Netz folgte eine Hasstirade. Diese Reaktionen, nur weil einer Million Menschen im Lande drei Minuten oder 30 Zeilen lang eine Stimme gegeben wurde, sind beängstigend. 

Dabei steht eine Änderung des Wahlrechts gar nicht ernsthaft zur Debatte. Die Debatte dreht sich ohnehin nur im Kreis. Jemand, der hier lebt und Steuern zahlt, soll auch mitbestimmen dürfen, sagt die eine Seite. Wer wählen will, soll sich doch die Staatsbürgerschaft holen, die andere. Irgendjemand rezitiert dann die rechtlichen Bestimmungen. Und das war’s auch schon wieder, verlässlich vor jeder Wahl. Es gibt keine neuen, überzeugenden Gründe, keine bessere Alternative in der Umsetzung als die Nationalratswahl an die Nationalität zu binden. Und überhaupt: Wir atmen ja in Österreich schon auf, wenn eine Wahl nach Schema X ohne Wiederholung glattgeht. 

Ich selbst darf bei der Nationalratswahl nicht wählen, und finde das richtig so. Ehrlich gesagt bin ich beim Blick auf die Parteien an manchen Tagen gar nicht so undankbar dafür. Aber Spaß beiseite. Ich habe an vielen Tagen mein Schicksal verflucht. Wie oft habe ich mir gewünscht, einfach den Satz sagen zu können: Ich komm aus Österreich. Punkt. Oder halt aus Deutschland. Oder aus Bosnien. Stattdessen sind bei mir alle drei Länder mein Zuhause. Wie oft habe ich Menschen beneidet, die für sich eine Heimat haben und nicht zwischen mehreren Heimatorten hin- und hergerissen sind. Dabei könnte ja beides etwas Schönes sein. 

Und das ist das Schicksal vieler Menschen in Österreich. Selbst jene, die hier geboren sind und für sich klar sagen können, dass sie Österreicher*innen sind, müssen sich immer wieder anhören, dass sie aber bitteschön nicht so richtig Österreicher*innen sind. Das tut weh. Über eine Million Menschen hat keine österreichische Staatsbürgerschaft, jede*r Dritte Wiener*in hat keine, und man kann das noch weiterdrehen: Bereits jede*r zweite Wiener*in steckt zwischen mehreren Heimatorten bzw. hat Migrationshintergrund, wie es im Volksmund heißt. 

Wir müssten bei diesen Zahlen über vieles reden, aber nicht prioritär über das Wahlrecht. Es ist ja nicht so, dass Migrant*innen nur bei der Nationalratswahl keine Stimme haben. In der Politik spricht kaum jemand für sie, in den Medien sind sie kaum vertreten. Im öffentlichen Diskurs spielen sie keine Rolle, sie sind nur die Ausländer*innen, die Migrant*innen; eine Zahl, die rechte Politiker*innen immer mal wieder in den Raum werfen, wenn sie eine Begründung für ein Problem benötigen. Alternativ müssten Politiker*innen sagen, dass sie ihren Job in Sachen Integration oder Bildung nicht ordentlich machen. Da ist es viel leichter populistisch zu werden. Mit einem Ende des giftigen Gesprächsklimas könnten wir anfangen. Irgendwann dann können wir uns vielleicht wieder sachlich darüber unterhalten, ob es etwa sinnvoll ist, dass ein Drittel der Wiener*innen aufgrund der Sonderstellung Wiens seinen Gemeinderat nicht wählen darf und ob man da einmal beim Thema Wahlrecht klein anfangen sollte.

(Kommentar redaktionell angepasst)

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