Armut & Sozialstaat

Economy for Future: Selbstbestimmung und Selbstverwaltung

Mit der Idee einer „Economy for Future“ will die Europäische Kreditinitiative die Voraussetzungen für die Finanzierung einer selbstverwalteten Wirtschaft jenseits des Profitprinzips schaffen. Es geht darum, monetären Profit als Ziel der Wirtschaft in Frage zu stellen. Vorgeschlagen wird eine Ergänzung der Statuten der Europäischen Zentralbank, um im europäischen Geld- und Bankenwesen die Möglichkeit einer freien Finanzierung von Unternehmen zu schaffen, die gemeinwohlorientiert arbeiten wollen und dauerhaft auf Profit verzichten.

Ein weiterer vieldiskutierter Ansatz ist der des bedingungslosen Grundeinkommens. Er bringt eine andere festgefahrene Vorstellung in Bewegung, die Vorstellung der Lohnarbeit, bei der Arbeit und Einkommen in einer nicht zukunftsfähigen Weise verknüpft sind.

Sowohl das Engagement für das Grundeinkommen wie auch die Europäische Kreditinitiative gehören angesichts der ökologischen und sozialen Krisen, zu den Perspektiven eines notwendigen Umschwenkens. Wie hängen sie zusammen und wo unterscheiden sich die Ansätze?

Die Idee des Grundeinkommens und der Zusammenhang von Arbeit und Einkommen

Gemeinhin denken wir Arbeit und Einkommen in einem direkten Zusammenhang. Wir bekommen ein Einkommen, weil wir arbeiten. Wir arbeiten, weil wir ein Einkommen brauchen. Das scheint so klar, dass wir es zunächst gar nicht in Frage stellen.

Die Forderung nach einem Grundeinkommen jedoch wagt dies: Alle Menschen sollen bedingungslos ein individuelles Einkommen in existenz- und teilhabesichernder Höhe bekommen. Einkommen ist hier nicht mehr Gegenleistung eines Arbeitgebers, auch nicht an Bedingungen geknüpftes Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe. Einkommen wird als Grundrecht gedacht.

Der Zusammenhang von Arbeit und Einkommen stellt sich jetzt anders dar: Ich erhalte ein Einkommen, damit ich überhaupt arbeiten kann. Es verschafft mir die Möglichkeit, mich frei einer Aufgabe zuzuwenden, mich mit meinen Fähigkeiten einzubringen. Ich arbeite nicht mehr für mich, sondern für die Sache, derer ich mich annehmen will und für die es einen Bedarf gibt.

Dies ist aber nicht nur als moralische Forderung zu verstehen, den Arbeitszwang zugunsten von Selbstbestimmung zu überwinden. Einkommen als Recht zu denken liegt in der Tatsache der modernen Wirtschaft. Wir erhalten uns nicht mehr selbst, aus dem, was wir als Einzelne hervorbringen, sondern aus Leistungen, die aus der globalen Wirtschaft im Ganzen hervorgehen. Einkommen kann in dieser Wirklichkeit der Fremdversorgungswirtschaft richtig gedacht nur als Recht und nicht als Tausch oder Kauf gedacht werden.

Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens setzt beim Einzelnen an und könnte, wenn es eingeführt ist, viel in Bewegung setzen. Wenn Menschen nicht mehr gezwungen sind, nahezu jede Arbeit annehmen zu müssen, dann wird sich auch auf der Seite der Arbeitswelt etwas verändern. Hier kommen dann noch weitere Ansätze ins Spiel.

Freiluft-Workshop der European Credit Initiative in Rom 2018 |

Die Befreiung der Arbeit durch ein dienendes Geldwesen

So wie der einzelne Mensch ein Einkommen braucht, um seine Konsum-Bedürfnisse befriedigen zu können, so brauchen Wirtschafts-Unternehmen eine Finanzierung für ihre Tätigkeit. Doch mit dem Begriff der Finanzierung ist heute viel und total Abwegiges verbunden. Wir sprechen gar von einer „Finanzindustrie“ und von „Finanzprodukten“, obwohl es doch eigentlich darum geht, mit diesem Begriff eine Funktion zu beschrieben, die den realen Vorgängen der Wirtschaft dient. Und wenn die Tätigkeit der Wirtschaft eben das Hervorbringen alles dessen ist, was wir an Waren und Dienstleistungen brauchen, warum sollten wir dann etwas finanzieren, was wir nicht brauchen, was sogar unsere Erde zerstört, was vielleicht nur scheinbar gebraucht wird, etwa weil Begierden in uns geweckt werden oder weil etwas unnötig zu früh kaputt wurde?

Heute geschieht all dies und mehr Absurdes, weil wir dem Geld an sich einen Eigenwert beimessen. Weil das Profitprinzip herrscht, das einzelnen Menschen Macht gibt, in die Räder des Wirtschaftsgeschehens aus ihren Einzelinteressen einzugreifen. Es ist eine Logik oder besser eine Unlogik, die sich verselbstständigt hat, aus der heraus Geld als eigener Wert verstanden wird und seine „Vermehrung“ zum Ziel der Wirtschaft wurde.

Wenn wir aber dem Geld nicht mehr einen Wert an sich beimessen, dann kommen wir darauf, dass Geld eigentlich immer nur dadurch überhaupt erst entsteht und dann für uns als Konsument*innen einen Tauschwert bekommt, weil ihm jeweils ein realer wirtschaftlicher „Gegenwert“ gegenübersteht. Hier kommt der Kredit ins Spiel. Und richtig gedacht sind es immer Kredite, die dafür sorgen, dass Unternehmen finanziert werden. Die Vorgänge des Geldes sind so gesehen keine Vorgänge der Wirtschaft, sondern stehen ihr dienend gegenüber. Die Banken sind dann die Organe dieses eigenen Funktionssystems. Eines seiner Instrumente ist der Kredit. 

Die Geldschöpfung durch Kredit und der Geldkreislauf

Der Kredit ist die Schöpfung des Geldes bezogen auf die Arbeit, die die Mitarbeiter eines Unternehmens leisten wollen. Das Unternehmen verspricht, dass es die dort versammelten Fähigkeiten so zum Einsatz bringt, dass etwas von Wert dabei herauskommt, etwas, wofür es einen Bedarf gibt. Ohne das Arbeits-Versprechen und die Pflicht es einzulösen, kann das Geld de facto gar nicht da sein, weil es ja ohne das Gegenüber der realen Arbeit wertlos wäre. Wenn Geld heute vorgibt, schon vorher da zu sein, ist das ein Krankheitssymptom. Es tritt überhaupt erst im Kredit in Erscheinung. Das ist der erste Schritt.

Im weiteren Lauf des Geldes muss es nun in die Hände der Konsumenten gelangen. D.h. das Geld muss in die Einkommen einfließen. Jetzt ist es nicht mehr, wie im ersten Schritt, auf die Arbeit bezogen. Jetzt stehen ihm die realen Werte der Dienstleistungen und Waren gegenüber, die aus der Wirtschaft im Ganzen hervorgehen. Das Geld ist jetzt für den Einzelnen das Recht, einen Teil aus allem insgesamt Produzierten für sich selbst in Anspruch zu nehmen.

Im Akt des Bezahlens oder Kaufens gelangt es in die Unternehmen zurück und die Kredite können im dritten Schritt wieder zurückbezahlt werden. Der Kreislauf ist geschlossen.

Dass aber der Überschuss, der bei Apple entsteht, auch in der Verfügung dieses einen Unternehmens bzw. seiner Share-holder liegen soll, ist angesichts der ganzheitlichen Wirklichkeit der Wirtschaft nicht klar.

Das bisher Unbemerkte in diesem Vorgang

An das Beschriebene kann sich die Frage anschließen, was eigentlich vorliegt, wenn jetzt in dem Wirtschaftsganzen an bestimmten Stellen mehr Geld zurückfließt als an anderen? Also wenn einzelne Unternehmen höhere Preise für ihre Produkte ansetzen können, als nötig sind, um einfach die Kosten zu decken? Ist dann dieses Geld deshalb dort gelandet, weil gerade dort so besonders tüchtige Menschen tätig sind? Oder weil der Einsatz von Kapital (von Erfindungen, Maschinen, Infrastruktur, Ressourcen, …) es möglich macht bei wenig Kosten ein Produkt hervorzubringen, für das gleichzeitig die Bereitschaft besteht, einen hohen Preis zu bezahlen?

Die Antwort ist klar: Das letztere ist der Fall. Und dass dies bei dem Produkt „iPhone“ funktioniert, aber etwa bei der Krankenpflege nicht möglich ist, leuchtet auch ein. Dass aber der Überschuss, der bei Apple entsteht, auch in der Verfügung dieses einen Unternehmens bzw. seiner Shareholder liegen soll, ist angesichts der ganzheitlichen Wirklichkeit der Wirtschaft nicht klar. Dieses Denken ist die Folge von anachronistischen Vorstellungen aus Zeiten, da die wirtschaftliche Produktion noch den Haushalten oblag, die sich weitgehend selbst tragen und versorgen mussten.

Heute sind die Unternehmen Teile eines Gesamtorganismus, an dessen einer Stelle sich Überschüsse realisieren lassen und an anderer Stelle eben nicht. Aus in der Sache liegenden Gründen. Und auch die Unternehmen, die die Überschüsse realisieren können, können dies nur, weil es auch die anderen Bereiche gibt, die für Schul- und Universitätsbildung sorgen wie auch für Forschung und Innovation, die Straßen und Schienen bereitstellen oder für Kindererziehung und Krankenversorgung da sind, den sozialen Frieden und unsere Lebensgrundlagen erhalten usw.

Die Aufgabe einer assoziativen Organisation von Wirtschaft

Aus dieser Beschreibung unserer Wirtschaft wird klar, dass Unternehmen nicht mehr als private Einheiten zu denken sind, die bloß miteinander interagieren und jedes nur für sich selbst verantwortlich ist. Die einzelnen Unternehmen sind heute Teile eines Ganzen, innerhalb dessen Unter- und Überschüsse ausgeglichen werden müssen. Bisher übernimmt diese Aufgabe des Ausgleichens überwiegend (und sozusagen behelfsweise) der Staat durch das Instrument der Steuern. Das gelingt aber aufs globale Ganze gesehen mehr schlecht als recht und auch da, wo wir noch gut funktionierende Sozialstaaten haben, geraten diese im internationalen Standortwettbewerb immer mehr unter Druck.

Die Aufgabe ist hier, ein assoziatives Wirtschaftssystem herauszubilden, in dem sich Unternehmen frei und selbstverwaltet verbinden können, um die beschriebenen Ausgleichsvorgänge in einer dezentral vernetzten Weise selbst zu gestalten. Die historische Erfahrung hat uns dabei gelehrt, dass ein staats-zentralistisches Vorgehen dabei nicht funktioniert, ebenso wie auch der profitgetriebene Kapitalismus von Seiten des Staates nur schwer in Zaum zu halten ist.

In diesem Sinn versucht die Europäische Kreditinitiative diese hier entwickelten Gedanken in die Diskussion zu bringen. Als konkreter erster Schritt auf dem demokratischen Weg des Wandels sollen die Statuten der EZB so geändert werden, dass eine freie Finanzierung von Unternehmen möglich wird, die eine neue Richtung einschlagen wollen. Allen, die erkennen, wie uns die bisherige profitgetriebene Wirtschaftsweise in vielfache Krisen geführt hat, soll ein neuer Weg eröffnet werden. Denn eine Wirtschaft, die nicht zugleich ökologisch und sozial ist, ist keine „Economy for Future“.

Die aktuelle Infobroschüre der European Credit Initiative |

Zurück zur Einkommensfrage und zum Grundeinkommen

In einer durch Industrialisierung und Arbeitsteiligkeit und heute immer mehr auch durch Digitalisierung und Roboterisierung geprägten Wirtschaft, werden so viele Kräfte freigesetzt, dass es ohne weiteres möglich ist, uns gegenseitig einen Teil unseres Einkommens als Grundeinkommen bedingungslos zuzusprechen. Aus der Perspektive der Kreditinitiative aber soll die Frage des Einkommens insgesamt in ein neues Licht gerückt werden. Es geht darum die Überwindung von Arbeitszwang und Lohnabhängigkeit als Konsequenz der Wirklichkeits-Gestalt unserer modernen Weltwirtschaft zu verstehen.

Wir haben in der Beschreibung des Geldkreislaufes oben gesehen, wie das Geld in Erscheinung tritt, wenn Menschen sich verpflichten, ihre Fähigkeiten in der Arbeit zum Einsatz zu bringen. Das Geld ist nicht etwa vorher schon da, weil es schon jemandem gehören würde. Es wird heute so gesehen, aber es widerspricht den Tatsachen. Das Geld wird vielmehr immer wieder neu geschöpft, bezogen auf die reale Produktion, die auch immer wieder neu durch unseren Einsatz angestoßen werden muss. Und das Geld verschwindet auch immer wieder, wenn ein Kredit zurückbezahlt wird. Da wo Geld heute den falschen Anschein erweckt, schon mit einem eigenen Wert versehen da zu sein, dreht es eigentlich sozusagen dysfunktionale Schleifen und Runden bevor es im Kreislaufgeschehen zurückfließt. Dabei türmt es Vermögensberge auf und fehlt in Schuldenlöchern.

Wenn aber das Geld – so zurechtgedacht – vor der auf Arbeit bezogenen Kreditierung eigentlich noch gar nicht da ist, wie kann dann das Beziehen eines Einkommens ein Vorgang des Entlohnens sein? Wie soll Arbeit also dann gekauft werden? Wer wäre denn der Käufer der Arbeitskraft, der das Geld für den Kauf schon besäße? Die Lohnarbeit ist der Sache nach eine Lüge, der heutigen Auffassung nach und auch in den geltenden Gesetzen eine Realität.

Richtig gedacht aber ist das Einkommen-Beziehen in unserer modernen Welt immer schon ein Vorgang des Berechtigens, so wie die Geldschöpfung mit Verpflichtungsvorgängen zu tun hat: Verpflichtung zur Arbeit und Berechtigung zum Konsum. Beides Vorgänge der Rechtsgestaltung, in denen wir uns als Menschen als Gleiche unter Gleichen begegnen. So wird Wirtschaft als selbstverwaltetes Gestaltungsfeld verstanden, das alle Beteiligten aus ihrer jeweiligen Verantwortung aktiv mittragen.

Doch so richtig es ist, dass ohne den ausreichenden Einsatz von Menschen in der Arbeit nichts an Dienstleistungen und Produkten da wäre, auf die sich die Konsumberechtigung beziehen könnte, so richtig ist es auch, dass wir in unserer modernen Welt unser Dasein nur erhalten können, wenn wir aus allem Produzierten einen Anteil für uns haben können. Daher gibt es auch in unseren modernen Gesellschaften – also überall da, wo wir Menschen nicht verhungern lassen – heute schon ein Einkommen, auch wenn Menschen nicht arbeiten. Es ist aber eine Frage der Würde, dieses Einkommen künftig bedingungslos zu gewähren.

Das bedingungslose Grundeinkommen wie auch der Vorschlag der Europäischen Kreditinitiative wären erste Schritte auf dem Weg hin zu einer zukunftsfähigen Weltwirtschaft. Es wären Schritte der Befreiung. Das Grundeinkommen würde den Einzelnen befreien, in unseren heutigen Verhältnissen nicht länger fremdbestimmt arbeiten zu müssen. Die Idee der Kreditinitiative will es Unternehmen möglich machen, Fähigkeiten in der Arbeit zu versammeln, die nicht dem Profit weniger dienen wollen, sondern dem Gemeinwohl und dem realen Bedarf von Mensch und Natur. So stellen wir die Weichen, um noch die Gefahren des Klimawandels oder des Artensterbens abwenden zu können, so bahnen wir die Wege zu globaler Solidarität und schaffen langfristig auch die Voraussetzungen für Frieden in der Welt.

Die Europäische Kreditinitiative und weiterführende Informationen

Die Europäische Kreditinitiative hat das langfristige Ziel für die vorgeschlagene Änderung der EZB-Statuten eine Europäische Bürgerinitiative zu starten. In der Zwischenzeit sind dazu schon in mehreren Ländern Arbeitszusammenhänge entstanden. In Deutschland bereitet ein Schwesterprojekt eine Petition an den Bundestag vor.

Die Anlaufstelle für die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens ist in Österreich das Netzwerk Grundeinkommen und sozialer Zusammenhalt – B.I.E.N – Austria

Zur weiteren Vertiefung des Zusammenhangs von Kreditinitiative und Grundeinkommen siehe das Video des Gespräches „Selbstbestimmung/Für alle/Von allen“ zwischen Daniel Häni und Daniel Schily. Moderiert von Corinna Milborn.

Zwei aktuelle Buchpublikationen:
Philip Kovce und Birger P. Priddat (Hrsg.): Bedingungsloses Grundeinkommen. Grundlagentexte. Berlin, Suhrkamp, 2019
Reinhard Ulrich:  Wirtschaftskunde (Sozialkunde) freigegeben bis 17 Jahre. Achberg, FIU-Verlag, 2019

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