Respekt & Vielfalt

Eine andere Sprache als die der Gewalt lernen

Ihre Profession und ihre persönliche Biografie münden in einem Projekt: Evelyn Böhmer- Laufer ist Psychotherapeutin, Psychologin, Österreicherin, Israelin, Jüdin und Gründerin des Projekts peacecamp. Das Camp ist ein Projekt zur Friedenserziehung und Förderung der politischen Mündigkeit, bei dem Jugendliche aus verschiedenen Gegenden und Identitäten zusammenkommen.  Junge israelische und arabisch-palästinensische Menschen sowie Teilnehmer*Innen aus Österreich und Ungarn verbringen zehn Tage miteinander. Ziel ist, die Jugendlichen von heute zu den Friedensbotschaftern von morgen zu machen.. „Die Jugendlichen treffen sich für elf Tage an einem entlegenen Ort in Österreich, um möglichst ungestört und frei von jeglicher Ablenkung gemeinsam am Thema Frieden zu arbeiten“, erklärt Evelyn Böhmer-Laufer die Idee hinter peacecamp. Bettina Reiter besuchte Evelyn Böhmer-Laufer beim diesjährigen Camp in Lackenhof (NÖ) und berichtet hier darüber.

Nicht zusehen, sondern handeln, denn für die Soziohgygiene unserer Gesellschaft ist jede/r Einzelne zuständig.

Jedes Jahr doch wieder

„Nicht zusehen, sondern handeln, denn für die Soziohgygiene unserer Gesellschaft ist jede/r Einzelne zuständig. Die Gesellschaft muss tagtäglich gepflegt werden, wie unsere Zähne, damit sich keine tödlich zersetzenden Keime bilden“, antwortet Evelyn Böhmer-Laufer auf die Frage nach der persönlichen Motivation für ihr Projekt. Seit 2004 trägt sie mit dem von ihr initiierten peacecamp zur ‚Soziohygiene‘ der Gesellschaft bei. Und obwohl sie sich jedes Jahr wieder vornimmt, dass dieses das letzte Mal ist, ist die 69-Jährige im nächsten Jahr doch wieder mit viel Freude dabei. „Peacecamp wurde für meine Familie – mich, meinen Mann und unsere Tochter – ein Familienprojekt. Wir hängen alle drei sehr daran“, so die gebürtige Wienerin. Die offene Frage nach der Nachfolge macht es ihr zusätzlich schwer, ihr ‚Baby‘ abzugeben: „Ich fürchte, dass niemand wie wir drei weitermachen würde: so viel Arbeit für gar kein Geld.“ Die Organisation, die Umsetzung und alles weitere Drumherum machen die drei immer ehrenamtlich. Auch die restlichen Mitglieder des Teams  Expert*Innen aus den Bereichen Kunst, Pädagogik und Psychoanalyse – helfen auf unentgeltlicher Basis mit.

Time-out für Mutter und Kind

Die Entstehung des Projekts ist eng mit der Biografie von Evelyn Böhmer-Laufer verbunden: Sie ist als Kind von Shoa-Überlebenden in Österreich geboren, maturierte und studierte Psychologie in Wien. Als 20-Jährige wanderte sie nach Israel aus, wo sie die nächsten 20 Jahre ihres Lebens verbrachte und ihren Master in Psychologie absolvierte.. In Israel fand sie in der „Peace Now“ Bewegung ihr politisches Zuhause. Das Ziel von Peace Now war und ist eine Lösung des alten Konfliktes mittels eines Modells „zwei Staaten für zwei Völker“.

Als im Jahr 2000 die zweite Intifada losging, lebte Evelyn Böhmer-Laufer zwar wieder in Wien, hatte aber noch engen Kontakt mit ihren Freund*innen in Jerusalem. „Meine Jerusalemer Freundin sagte mir am Telefon, sie würde jeden Morgen ihre drei Kinder vom Balkon aus wieder in die Wohnung zurückrufen, um sich einzuprägen, was jedes Kind anhatte. Um sie ‚im Notfall identifizieren zu können‘“, erzählt sie und ergänzt: „Ich wollte einigen Müttern ein Time-out von der Sorge um ihre Kinder und einigen Kindern ein Time-out von der Gewalt geben. Ich dachte, im neutralen Österreich, irgendwo auf einem Berg, würden die zerstrittenen Gruppen eine andere Sprache als die der Gewalt finden.“

Ich dachte, im neutralen Österreich, irgendwo auf einem Berg, würden die zerstrittenen Gruppen eine andere Sprache als die der Gewalt finden.

So kam es, dass sie 2004 je eine jüdische und eine arabische Gruppe von jungen Erwachsenen nach Österreich einlud. „Eine österreichische Gruppe sollte, so wie ich bei meiner Arbeit als Psychotherapeutin, wenn ich mit zerstrittenen Paaren arbeite, ein neutraler, dritter Part sein“, erklärt sie ihre Idee weiter. Doch schon bei ihrem ersten Lager in Rechberg (Ktn.) erkannte sie, dass die österreichischen Schüler*Innen keineswegs neutral waren. Deshalb änderte sie das Konzept für die darauffolgenden peacecamps: „2005 nahmen wir dann eine Gruppe slowenischer Schüler*Innen hinzu; so hatten wir zwei zerstrittene resp. verfeindete  Gruppen aus dem Nahen Osten und zwei ehemals verfeindete Gruppen.“ 

peacecamp changed my life“

Die Idee von Evelyn Böhmer-Laufer geht auch heute noch auf – das zeigen die zahlreichen positiven Feedbacks, die sie immer wieder erhält. So erzählt sie beispielsweise von einem syrischen Burschen, der sich in ein jüdisches Mädchen verliebte und daraufhin sagte: „peacecamp took my prejudice.“ In einem anderen Fall bekam sie erst vor Kurzem einen Brief von einer Teilnehmerin, die 2008 am Camp teilnahm und die schrieb: „peacecamp totally changed my life.“ Auch sie selbst profitiert vom peacecamp: „Durch peacecamp sehe ich selbst heute viele Dinge der Gesellschaft mit anderen Augen. Ich bin viel sensibler, aufgeschlossener und empathischer geworden und bin auf eigene stereotype und rassistische Sichtweisen draufgekommen.“ Sie ist überzeugt, dass jede/r, der/die mitarbeitet, oder irgendwie an peacecamp beteiligt ist, auch daran reift.

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