Liebe Birgit, danke, dass du dir die Zeit nimmst. Kannst du dich kurz vorstellen und erzählen, wie du bei Extinction Rebellion (XR) gelandet bist?
Ich bin schon seit längerem im Umweltbereich tätig. Bei XR bin ich gelandet, weil mich eine Freundin vor etwa genau einem Jahr angerufen und mich um einen Gefallen gebeten hat. Diese Freundin, die damals bei einem Auslandeinsatz war, sagte mir, dass sich ihr Sohn gerade bei „irgendeiner Organisation mit X“ engagiere und fragte, ob ich ihm nicht bei der Vorbereitung eines Vortrages helfen könne. So habe ich das erste Mal von Extinction Rebellion gehört und habe danach ausgiebig gegoogelt. Ich war total angetan von diesem ganzheitlichen Ansatz und mir kommt vor, dass das was XR auf allen Ebenen leistet, das best of ist.
Wie ist XR entstanden und wieso?
Das kann ich jetzt nicht zu 1000% sagen, aber soweit ich weiß ist XR aus einer Kampagne in Großbritannien entstanden. Das war zeitgleich mit dem Beginn von Greta Thunbergs Protest. Diese Kampagne war dann so erfolgreich, dass XR innerhalb eines Jahres aus einer Kampagne heraus eine globale Sache geworden ist.
Gehen wir auf eure drei Forderungen ein. Ihr fordert zum einen, dass die Wahrheit über die Bedrohung offengelegt wird, zum anderen eine ökologische Mobilisierung und ihr fordert eine Büger*innenversammlung. Warum ist gerade ein Bürger*innenrat eine eurer drei Hauptforderungen?
Eine der wesentlichen Erkenntnisse der Analysen der letzten 40 Jahre ist, dass es offensichtlich die Politik nicht schafft, die Ziele, die sie sich selbst auf internationaler Ebene vorgibt, auf nationaler Ebene umzusetzen, weil sie sich nicht trauen, den Leuten die Wahrheit zu sagen und sie wiedergewählt werden wollen. Sie wollen die Menschen nicht mit unbequemen Wahrheiten konfrontieren. Daher wollen wir als zusätzliches demokratisches Element diese Bürger*innenversammlungen einführen. Man kann sich das wie die „Geschworenen für die Zukunft“ vorstellen, wo der Bevölkerungsdurchschnitt zusammenkommt, sich gut über die Thematik informiert und informiert wird und dann große und weitreichende Entscheidungen trifft. Da gibt es auch schon gute Beispiele. Ein Beispiel kommt aus Irland, wo sich Politik und Zivilgesellschaft zu gewissen Fragestellungen zuvor die Zähne ausgebissen haben, aber dann mittels eines Bürger*innenrates gute Entscheidungen gefunden werden konnten.
Euer Ziel ist es das Massenaussterben zu stoppen. Dabei greift XR auf Methoden, die über eine „herkömmliche“ Demonstration hinausgehen. Ihr bezieht euch stark auf die Methode des zivilen Ungehorsams und seid strategisch gewaltfrei. Warum sind gerade dies die Methoden der Wahl?
Extinction Rebellion handelt nicht einfach so aus dem Bauch heraus, sondern hat sich die Methoden sehr gut angeschaut. Eine Wissenschaftlerin aus den USA, Erica Chenoweth, hat sich ungefähr 300 Aufstände angesehen und herausgefunden, dass jene Aufstände, die gewaltfrei verlaufen sind, eine höhere Erfolgsrate aufwiesen. Auch ziviler Ungehorsam spielte in diesen Bewegungen eine Schlüsselfunktion. Rosa Parks bis Gandhi haben zivilen Ungehorsam angewendet. Wir berufen uns daher auf diese Erkenntnisse.
Was war eure größte Aktion? Und eure größten Erfolge?
Erfolge in dem Sinne sind schwer messbar. Global gesehen kann man jedoch davon ausgehen, dass XR gemeinsam mit den Fridays for Future, die zeitgleich entstanden sind, den öffentliche Diskurs zur Thematik deutlich verschoben hat. Aber wir sind noch von der Umsetzung unserer Ziele weit entfernt. Wir werden jedoch wahrgenommen und diskutiert. Und das Gute ist, dass wir kontroversiell diskutiert werden – sowohl von der Rechten als auch von der Linken.
Bei all unseren Aktionen wollen wir noch mehr stören, noch mehr auffallen.
Stichwort kontroversiell: Ihr werdet aufgrund eurer Aktivitäten oftmals kritisiert, da sie sich in einem legalen Graubereich befinden. Ihr setzt auf eine Störung, beziehungsweise Unterbrechung, des Alltagslebens. Das führt auch zu der einen oder anderen Festnahme. Wie geht ihr sowohl mit der Kritik als auch mit den Festnahmen um?
Da gehen wir auf zwei Ebenen damit um. Das eine ist, dass diese Festnahmen gerade zur Strategie von XR gehören. Je mehr Menschen es sind, die festgenommen werden, die so sind wie „du und ich“ und aus allen möglichen Gesellschaftsschichten stammen, desto schneller verschiebt sich die öffentliche Meinung zu Gunsten der Protestierenden. Auf der einen Seite ist es eben eine Strategie von uns und auf der anderen Seite ist es natürlich sehr schwierig persönlich damit umzugehen.
Das bringt mich schon zu meiner nächsten Frage. Wie geht ihr persönlich mit den Festnahmen um und wie brennt ihr dabei nicht aus? Es ist ja schwierig ständig festgenommen zu werden.
Danke für diese Frage. Das zeigt aber eine weitere Qualität von XR. Regeneration ist bei XR strategisch miteingeplant. Regeneration heißt nicht nur, dass wir Pausen zwischen unseren Aktionen machen, sondern es beginnt dabei, dass schon bei den Besprechungen eine*n Verantwortliche*n gibt, der*die auf das Wohlbefinden aller achtet. Jemand, der zwischen den Diskussionen darauf achtet, dass Pausen gemacht werden, gelüftet wird und man sich etwas bewegt. Wir haben Gruppen, die sich regelmäßig treffen, Lesekreise veranstalten, damit man auch gut zueinander findet und somit auch gut aufeinander aufpasst.
Welche Rolle spielt die Angst bei euch?
Die Angst ist ein Hauptmotor; und zwar die große Angst vor dem was global passiert und zu passieren droht. Diese große Angst gibt der kleinen Angst Mut und hilft die kleine Angst durchzustehen, die natürlich viele von uns im Bauch haben, wenn wir eine Aktion planen.
Ein weiterer Kritikpunkt, der mir öfter untergekommen ist, ist der der Diversität. Es wird oft behauptet, dass die XR Aktionen bis zu einem gewissen Grad exklusiv sind, da nicht alle sich verhaften lassen können oder an einer Aktion auf der Straße teilnehmen können. Wie stehst du zu diesem Kritikpunkt?
Es gibt so viele Möglichkeiten sich bei XR einzubringen. Du kannst total aktiv sein und dabei nie in die Nähe einer potenziellen Festnahme kommen. Als kleines Beispiel: Während der Rebellion Week haben Shiatsu Praktiker*innen angeboten, sie wegen Massagen und Shiatsu Therapien zu besuchen. Manchmal kochen Menschen etwas und bringen es vorbei. Außerdem haben wir auch legale Aktionen. Es muss sich niemand verhaften lassen. Aber die, die sich nicht verhaften lassen, übernehmen die Aufgabe diejenigen zu unterstützen, die dann doch bei solchen Aktionen mitmachen. Sie stellen sich bei den Aktionen daneben und singen oder warten vor der Polizeistelle auf diejenigen, die festgenommen wurden.
Meine letzte Frage ist: Was bedeutet für dich die Phrase „a moral duty to rebel“?
Eigentlich genau das, was sie sagt. Ich habe 1983 in der Umweltbewegung angefangen und ganz ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass wir die nötige Veränderung schaffen werden. Aber ich könnte keinem Kind auf der Straße in die Augen schauen, wenn ich nicht versuchen würde, im letzten Augenblick noch zu helfen.