Gleichberechtigung & Frauenrechte

Sieben Frauen in der Coronakrise

Sieben Frauen erzählen wie sie das vergangenen Krisenjahr erlebt haben. Sie sprechen über das Erleben von Mehrfachbelastungen, über plötzliche Arbeitslosigkeit, über den fehlenden sozialen und kulturellen Austausch, über die langfristigen Auswirkungen einer Covid-Erkrankungen, aber auch über das Entdecken der eigenen Privilegien.

 

Mehr als ein Jahr ist es her, dass ein Virus unser Zusammenleben in vielen Bereichen verändert und uns vor zahlreichen Herausforderungen gestellt hat. Die Ausnahmesituation scheint mittlerweile zum Normalzustand geworden zu sein. Eine Ausnahme- und Krisensituation in der die Arbeit (sei es Lohn- oder unbezahlte Arbeit) von Frauen unverzichtbar ist. Gleichzeitig sind vor allem Frauen von Mehrfachbelastungen betroffen, wie auch die Ökonomin Katharina Mader im Interview erzählt. Dennoch sind Krisenmanagement und so auch die Entscheidungsmacht weitgehend in männlicher Hand. Grund genug, um Frauen zuzuhören, wie sie das letzte Jahr erlebt haben.

Amanda*, 34 Jahre

Für mich und meine Familie war das letzte Jahr scheiße. Ich habe zwei Kinder, meine Tochter ist im Kindergartenalter, mein Sohn wurde letztes Jahr eingeschult und ist Autist.

Für viele Menschen ist das letzte Jahr aufgrund all der Maßnahmen belastend, in Familien, wie in der meinen, gibt es zusätzliche Herausforderungen: Mein Sohn braucht als Autist Routine. Mit dem ständigen Öffnen und Schließen der Schulen fällt das weg. Er braucht zwei bis drei Wochen, um nach dem Home-Schooling wieder halbwegs in den Schulrhythmus zu kommen. Gleichzeitig kann er derzeit kaum Therapien machen. Sowohl er, als auch ich, sind komplett überlastet. Dazu kommt, dass ich an Depressionen leide und seit längerem arbeitslos bin.

Therapie- und Arbeitsplätze fehlen derzeit noch mehr als sonst. Damit nicht genug: Immer wieder wird mir von meiner AMS-Beraterin oder potentiellen Arbeitgeber*innen vorgeworfen, dass ich gar nicht arbeiten will, weil ich auf fixe Arbeitszeiten bestehe. Auch das ein Problem, das viele Eltern mit behinderten Kindern kennen und durch die Krise nicht besser geworden ist. Viele von uns sind nicht so flexibel wie andere Eltern.

All das sind Gründe, wieso ich seit der Corona-Krise das ständige Gefühl habe vornüberzukippen. Ich würde mir wünschen, dass die Familien, in denen Kinder mit Behinderungen leben, endlich wahrgenommen werden. Oft wird der Fokus auf Familien gelegt, wir werden in der Corona-Krise jedoch vergessen. Es wird vergessen, wie überlastet wir sind und dass es keine Möglichkeit zur Entlastung gibt.

*Name geändert

Kind Hausübungen
Home Schooling |
Credits: Annie Spratt | Unsplash
Ich würde mir wünschen, dass die Familien, in denen Kinder mit Behinderungen leben, endlich wahrgenommen werden.
Nadine
Hat "Glück" Privilegien zu haben.
Credits: Martin Pabis

Nadine Lisa, 27 Jahre

Frauen und Kinder gefangen in häuslicher Gewalt, unterbezahltes und überfordertes Pflegepersonal, hohe Arbeitslosigkeit, Armut und Existenzängste, überfüllte Flüchtlingscamps und unmenschliche Lebensbedingungen, Diskriminierungen aufgrund von ethnischer Herkunft, Hautfarbe, sexueller Orientierung… Es gibt vieles, das unsere Welt, abgesehen von COVID-19, krankmacht.

Mein anfängliches Gefühl von Angst und Unsicherheit verwandelte sich von einem Lockdown zum nächsten immer mehr zu einem der Dankbarkeit. Ich führe eine liebevolle Beziehung, habe ein sicheres Einkommen, eine schöne Wohnung und stets zu essen.

Meine Familie ist gesund und in Sicherheit. Sollte mir im Lockdown langweilig werden, habe ich ein breites Spektrum von Möglichkeiten, wie ich meine Zeit verbringen kann. Ich kann mein Leben nach meinen Vorstellungen gestalten und „es stehen mir alle Türen offen“, wie meine Familie gerne betont. Es stimmt, die Türen sind offen, das waren sie schon immer.

Oft reden wir davon, „wieviel Glück wir im Leben haben“. Das letzte Jahr hat mir gezeigt, dass das, was wir haben sehr wenig mit „Glück“ zu tun hat, sondern mit systematischen Vorteilen, von denen wir profitieren. Ich habe endlich die unsichtbaren Begleiter in meinem Leben erkannt, die mir stets die Türen öffnen: meine Privilegien.

Ich hoffe inständig, dass ich durch diese Erkenntnis meinen Beitrag leisten kann, die Welt ein kleines Stückchen besser zu machen. Erkenntnis ist immerhin der erste Schritt zur Besserung, oder? #Knowyourprivilege

Ich habe endlich die unsichtbaren Begleiter in meinem Leben erkannt, die mir stets die Türen öffnen: meine Privilegien.
Yvonne ist an Covid erkrankt und muss sich immer noch schonen. |
Credits: Herbert Anreitter

Yvonne, 47 Jahre

Als ich im November an Covid erkrankte, stand ich – wie viele andere – mitten im Leben. Beruflich hieß das zwei Ausbildungen, eine Zertifizierung, ein neuer Job. Privat mit Mann und Kindern, Hund und Hobbies, ich war gerne und immer auf Achse.

Covid hat mich da herausgerissen. Und der Weg zurück ist schwer – denn ich bin in Folge an Long Covid erkrankt. Und so bin ich nun auf meine Umwelt angewiesen – ich kann mir nicht mehr selbst kochen, ich kann nicht einkaufen gehen, ich kann noch nicht mal den Hund versorgen. Es ist ein Glück, dass die Kinder schon so groß sind und weitgehend alleine zurechtkommen.

Zwei Drittel aller Long Covid Patient*innen sind Frauen mittleren Alters – viele haben ein ähnliches Leben wie ich gehabt, Familie und Job. Long Covid ist eine tückische Erkrankung – zur Heilung muss man sich in allererster Linie schonen. Gerade für die Personengruppe der Frauen mittleren Alters ist das aber besonders schwer. Jetzt ist es ein Spagat, den wir versuchen – einerseits sind da die Bedürfnisse der Familie, andrerseits der Auftrag, uns strikt zu schonen – denn andernfalls gefährden wir unsere Genesung. Ein Dilemma, in dem ständig abgewogen werden muss – mache ich dieses oder jenes – mache ich es nicht? Gefährde ich meine Gesundheit oder mute ich dem Kind vielleicht zu viel zu?



Long Covid ist eine tückische Erkrankung – zur Heilung muss man sich in allererster Linie schonen. Gerade für Frauen mittleren Alters ist das aber besonders schwer.
Verena
Das Jahr endete für Verena glücklicherweise positiv. |
Credits: Caro Strassnik

Verena, 58 Jahre

 

Es war Anfang März 2020 als die Realität der Corona-Krise bei mir angekommen ist: Mein Chef verstarb an Corona und plötzlich war ich arbeitslos.

Nach diesem dramatischen Zeitpunkt, hat sich das Jahr immer wieder gewandelt. Ich war wegen Rückenschmerzen im Krankenstand. Da merkte ich, dass ich diese Entschleunigung total gebraucht habe. In dieser ersten Lockdown-Phase war ich sehr euphorisch. Mit der Zeit kam es trotzdem zu einer Zerreißprobe für meine Geduld: Mein Lebensgefährte, der selbstständig ist, hatte null Einkommen. Wir lebten vom Krankenstandgeld. Da ich nur noch zwei Jahre bis zur Pension habe, gestaltete sich die Arbeitssuche alles andere als leicht.

Altersteilzeit, Frühpension oder zwei Jahre arbeitslos zu sein, kam für mich nicht in Frage. Daher beschloss ich um Invalidenpension anzusuchen. Im Herbst ging ich außerdem in Reha. Und dann kam der nächste Wandel: Während der Reha habe ich einen Job gefunden, kurz vor Weihnachten erhielt ich die Zusage, ein schönes Geschenk. Obwohl es insgesamt kein tolles Jahr war, endete es für mich glücklicherweise positiv.

Mit der Zeit kam es trotzdem zu einer Zerreißprobe für meine Geduld: Mein Lebensgefährte, der selbstständig ist, hatte null Einkommen. Wir lebten vom Krankenstandgeld.

Martina, 41 Jahre

 

Ich könnte mich beschweren: mit Ausnahme unzähliger Spaziergänge treffe ich seit letztem März quasi niemanden, verbringe jeden Abend alleine zuhause, lerne keine neuen Menschen kennen & erlebe kein kulturelles Leben. Die Motivation alleine dauerhaft durchzuhalten, ist richtig schwierig.

Ich könnte es positiv sehen: Ich hatte Zeit, mich neu aufzustellen, mir in Ruhe eine neue Arbeit zu suchen. Ich lernte alte Freund*innen neu kennen (z.B.: zu zweit beim Rundumadum-Wanderweg), legte ein paar alte Gewohnheiten ab und brachte andere wieder in mein Leben.

In Summe ist es wohl eine Mischung aus beidem, ein permanentes on-off-Theater, von dem man nicht weiß, in welchem Akt man sich gerade befindet. Die Emotionalität in meinem Leben fehlt, das ist sehr anstrengend. Kein Streaming und kein Videocall kann das ersetzen.

Alleinlebende befinden sich seit 3.11. im zweiten Lockdown. Man ist gezwungen, nahestehende Menschen nicht zu erleben. Das macht die Einzelperson wie auch die Gesellschaft um ein großes Stück ärmer – es wird Zeit, dass sich das ändert und wir wieder ein „Wir“ werden.

Martina
Martina ist viel alleine. |
Credits: privat
Man ist gezwungen, nahestehende Menschen nicht zu erleben. Das macht die Einzelperson wie auch die Gesellschaft um ein großes Stück ärmer – es wird Zeit, dass sich das ändert und wir wieder ein „Wir“ werden.
Nina
Nina geht mehr spazieren.
Credits: Christian Franke

Nina, 43 Jahre

 

Ich bin erstaunt, wie viel Verbundenheit und Resonanz entstehen kann – online – ohne physische Präsenz. Ich bin Sängerin, Songwriter, Sprecherin und habe mich beruflich als Atem- und Stimmpädagogin weiter entwickelt und neue Kund*innen gewonnen, weil ich auch online Stunden gebe. Wenn die Berührung der Hände wegfällt, gewinnt die Berührung durch Worte und Stimme an Bedeutung. Die intensive Arbeit mit dem Atem stärkt mich und bringt Klarheit und Gelassenheit. Das hilft mir in dieser Krise fröhlich und motiviert zu bleiben.

Ich bin dankbar für neue Ideen und Kooperationen mit anderen Frauen. Neben Online-Treffen hat sich ein weiterer Brauch etabliert: Der Spaziergang. So halte ich alte Freundschaften aktiv und lerne neue Leute kennen.

Als Musikerin fehlen mir derzeit alle Einnahmequellen. Finanziell hilft der Härtefallfond. Letzten Sommer waren einige Outdoor-Konzerte möglich. Hoffentlich 2021 wieder.

Meinen Beruf ausüben kann ich, solange unsere Kinder (8 und 5 Jahre) in Schule und Kindergarten betreut werden. Parallel zum Homeschooling gelingt mir das nicht. Wir Eltern brauchen Zeit, die Kinder und Jugendlichen brauchen ihre Peergroups. Die Pädagog*innen leisten Großes und haben mehr Wertschätzung verdient. Applaus allein reicht nicht.

Wütend und traurig macht mich, wenn die Politik sagt, wir wollen zurück zur „Normalität“. Ich wünsche mir grundlegende Veränderungen, neue Rahmenbedingungen und die Entscheidung, dem Verbindenden mehr Bedeutung zuzumessen als dem Trennenden.

Wütend und traurig macht mich, wenn die Politik sagt, wir wollen zurück zur „Normalität“.

Katharina, 42 Jahre

 

Seit Beginn der Pandemie, werde ich von Seiten der Politik, als erwerbstätige Frau unsichtbar gemacht. Es bleibt mir selbst überlassen, wie ich die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Weiterbildung schaffen soll. Es gibt keine zusätzlichen Pflegefreistellungstage. Sonderbetreuungszeit greift nur, wenn Schrödingers Schule zu hätte. Doch trotz dreimaligen Testen pro Woche hat diese doch wieder nur für Betreuung offen.

Lockdowns (nunmehr liebevoll „Osterruhe“ genannt) stellen mich, meinen Mann und unsere vier Kinder vor enorme Herausforderungen. Betreuung soll nur im Notfall in Anspruch genommen werden, an erwerbsarbeitsfreien Tagen, sollen die Kinder zu Hause betreut und beschult werden.

Dazu kommen die Verdachtsfälle in Kindergarten und Schule, die Quarantänen, die uns zu unzuverlässigen Arbeitnehmer*innen und Kolleg*innen machen und uns überfordern (by the way, wie geht´s da wohl Alleinerziehenden?). Was mich am meisten aufregt: Am Bescheid, der meinem Kind ein positives Corona-Testergebnis bescheinigte, stand nur der Name der Mutter als Erziehungsberechtigte. Was soll das bedeuten? Bin ich als Mutter, für den Staat, allein für die Care- und Sorgearbeit zuständig?

Katharina Brodnik
Katharina im Auto | Credits: Katharina Brodnik
Seit Beginn der Pandemie, werde ich von Seiten der Politik, als erwerbstätige Frau unsichtbar gemacht.

Online-Petition für berufstätige Eltern

Katharina Brodnik hat eine Online-Petition mit der „Forderung nach Unterstützungs- und Entlastungsmöglichkeiten berufstätiger Eltern in Krisen“ gestartet, diese kann hier unterzeichnet werden.

Diesen Artikel teilen

Facebook
Twitter
LinkedIn
WhatsApp
Email
Drucken