Respekt & Vielfalt

„Ich haue mich jetzt rein!“

Mireille Ngosso hat mit Mugtaba Hamoudah die Black-Lives-Demo am 4. Juni in Wien organisiert. Der gewaltsame Tod von George Floyd in den Händen der Polizei von Minneapolis hat auch in Wien 50.000 Menschen mobilisiert, um für Antirassismus auf die Straße zu gehen. Die erfolgreiche Wiener Politikerin und angehende Chirurgin hat mit derdiedasrespekt.at über die Demo, eine Verschiebung der Wahrnehmung von diskriminierten Gruppen in unserer Gesellschaft und ihre weiteren Pläne für die Black Lives Matter Bewegung in Wien gesprochen.

Liebe Mireille, vielen lieben Dank, dass Du Dir neben all Deinen Aktivitäten Zeit für ein Interview mit derdiedasrespekt.at nimmst! Du hast die Black-Lives-Matter-Demo Anfang Juni in Wien organisiert. Es war eine der größten Demos in Wien. Wir gratulieren erst mal dazu! Wie kam es dazu? 

Wir waren ja mehrere, die die Demo organisiert haben. Nachdem wir dieses Video (Anm.: George Floyd) gesehen hatten – ich konnte es mir nicht zu Ende anschauen, es hat mir einfach wirklich das Herz gebrochen – da waren wir zuerst alle fertig. Dann hat mich Mugtaba angerufen und gemeint: „Mireille, wir müssen etwas machen!“ Und damit hat er mich ein bisschen wach gerüttelt und ich habe mir gedacht: „Ja, wir müssen das!“ Wir haben also zuerst eine Kundgebung organisiert. Und nachdem die viral gegangen ist, haben wir eine Demo aus der Kundgebung gemacht. Wir haben mit 3.000 Leuten gerechnet. Mit 50.000 Menschen haben wir überhaupt nicht gerechnet.

Es war ein so schönes Signal: Als wir mit dem Bus den Getreidemarkt hinunter zum Resselpark gefahren sind, war es so wunderschön, so viele Menschen zu sehen – People of Colour, Black People of Colour und weiße Menschen haben alle geschrien „Black Lives Matter“. Ich war so bewegt, mir sind die Tränen gekommen! Ich hätte niemals gedacht, dass sich 50.000 Menschen mit diesem Thema solidarisieren. Das war wirklich wunderschön!

Du hast recht, das war ein tolles, wunderschönes Signal. Warum ist es so wichtig, auch in Österreich für Black Lives Matter auf die Straße zu gehen? Und warum glaubst du, gab es so viel Zulauf? 

Black Lives Matter ist eine internationale Bewegung, in allen westeuropäischen Städten gab es relativ große Solidaritätskundgebungen. Und ich glaube, es ist einfach die Betroffenheit aufgrund des Todes von George Floyd, die die Menschen auf die Straße bringt. Viele Menschen haben dieses unfassbar grausame Video gesehen – es ging ja komplett viral. Und ich denke, es sind auch viele Menschen aufgewacht, wie es POC und BPOC gehen kann. Bei POC und BPOC war es einfach eine unmittelbare Betroffenheit. Ich habe in George Floyd einfach so viele Menschen gesehen – meinen Sohn, meine Brüder, meinen Papa. Und ich habe mir gedacht: Es kann es ja nicht sein, dass wir im Jahr 2020 noch immer so behandelt werden.

Natürlich gibt es Leute, die jetzt meinen, Österreich könne man nicht mit den USA vergleichen. Mir ist schon klar, dass die USA ein Hotspot für Polizeigewalt sind. Aber auch in Österreich haben wir Fälle gehabt, wo unschuldige Menschen von der Polizei getötet worden sind – Marcus Omufuma, Chebani Wangue – wo es auch nie wirklich Konsequenzen gegeben hat.

Auch struktureller Rassismus ist ein Problem in Österreich. In dieser Situation sind bei mir auch viele Dinge hochgekommen, die ich ein bisschen unterdrückt habe, weil es einem oft abgesprochen wird, beziehungsweise die Leute einem nicht glauben oder Alltagsrassismus bagatellisieren. Ich habe auch einen Mechanismus entwickelt: Ich habe nicht oft mit weißen Menschen über den Rassismus gesprochen, den ich erlebt habe. Ich habe nämlich nicht das Gefühl gehabt, dass sie mich verstehen. Ich glaube, dass jetzt auch viele weiße Menschen verstehen, was da passiert und auch deshalb die Resonanz so groß war.

Ich bin mir sicher, dass du da vollkommen recht hast. Viele weiße Menschen haben einfach überhaupt keine Ahnung, wie es marginalisierten oder – noch schlimmer – diskriminierten Gruppen in unserer Gesellschaft eigentlich geht. Weil sie es halt einfach nicht erleben und keine Ahnung haben, was racial profiling heißt und weil sie nicht auf der Straße von der Polizei dafür „angemacht“ werden, dass sie existieren.

Ich habe da auch viele Anfragen von weißen Menschen gekriegt, die einfach noch nie mit Rassismus und Diskriminierung konfrontiert waren, die durch die Black Lives Matter Bewegung aufgewacht sind und jetzt realisieren, dass es in Österreich auch eine Gruppe von Menschen gibt, die es einfach schwer hat.

Man muss sich ja nur umschauen – ich erinnere mich an ein Interview, das ich für eine Frauenzeitschrift gegeben habe und sie haben mich gefragt, was man gegen Diskriminierung tun kann. Und ich habe gemeint: „Wie wäre es, wenn Sie einmal in Ihren eigenen Reihen schauen? Und nicht nur von Inklusion sprechen, sondern sie auch leben.“ Das heißt die Türen für POC und BPOC aufzumachen und uns sichtbar zu machen – das baut auch Vorurteile ab. Wir sind ein Teil der Gesellschaft, aber man sieht uns kaum irgendwo.

Wie wäre es, wenn Sie nicht nur von Inklusion sprechen, sondern sie auch leben?

Und viel zu selten in Rollen, wie dich beispielsweise – als erfolgreiche Politikerin und Ärztin.

Du weißt auch, wie schwierig das manchmal ist. Die SPÖ widerspiegelt die Gesellschaft und es gibt viele verschieden Menschen und Meinungen – das hat mich an sich auch immer an der SPÖ angezogen. Aber es heißt auch, dass man innerhalb der Partei Aufklärungsarbeit leisten und darauf hinweisen muss, dass es Gruppen von Menschen gibt, die einfach mehr Unterstützung benötigen, als andere.

Die Black-Lives-Matter Bewegung ist international –
wie gut seid ihr mit anderen Demo-Organisator*innen in anderen Ländern vernetzt?

Eigentlich bis jetzt kaum. Wir haben in den nächsten zwei Wochen geplant, eine Reihe von Podiumsdiskussionen zu organisieren. Und im Zuge dessen ist uns klar geworden, dass es an der Zeit ist, dass wir uns zumindest mit Deutschland verbünden, weil da die Black Community wesentlich größer ist und uns einige Schritte voraus ist. Wenn man sich manche schwarze Politiker*innen in Deutschland ansieht – zum Beispiel Aminata Touré, die die Dinge schon so anspricht, wie sie sind – wenn ich das in Wien bzw. Österreich machen würde… Da werde ich ja jetzt schon angegriffen. Da sind wir in vielen Punkten noch gar nicht so weit, Benachteiligungen offen anzusprechen.

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns zumindest mit Deutschland vernetzen, um die Sache weiter voran zu bringen, oder damit es zumindest keinen Stopp gibt. Wir haben jetzt die Chance, einen großen Teil der Bevölkerung mitzunehmen – vor allem junge Menschen.

Weil wir gerade bei der Thematik sind: Wie geht es mit der Black-Lives-Matter Bewegung weiter? Was sind die nächsten geplanten Schritte?

Im Sommer werden wir mit der inhaltlichen Auseinandersetzung starten und Podiumsdiskussionen zu verschiedenen Themen veranstalten, um unsere Forderungen auch deutlicher zu machen. Außerdem wollen wir uns auch besser vernetzen – mit der Polizei, mit der Bildung, mit der Politik. In weiterer Folge werden wir natürlich auch Medienaktionen machen.

Was unser Traum ist – und wir sind alle guter Dinge, das zu schaffen – im Februar wollen wir einen Black History Month Austria organisieren. Wir wollen aufzeigen, dass es schon seit langer Zeit schwarze Menschen in Österreich gibt, dass es im 18. Jahrhundert einen Angelo Soliman in Österreich gab, in Österreich gab es Sklav*innen – auch wenn Österreich keine Kolonien hatte – im Ersten Weltkrieg haben in Österreich Schwarze gekämpft, im Zweiten Weltkrieg haben in Österreich Schwarze gekämpft, in Mauthausen wurden auch Schwarze ermordet. Dass die erste Generation schwarzer Menschen in Österreich Nachkommen von US-Soldaten und Wienerinnen waren. Das alles wollen wir bewusst und publik machen!

Das ist ein ambitionierter Plan und hört sich sehr spannend an.

Ich freue mich auch sehr. Ich habe das Gefühl, wir haben jetzt wirklich die Chance!

Wenn du mich vor 10 Jahren, als ich mit der Politik angefangen habe, gefragt hättest, hätte ich gesagt, ich werde sicher keine Inklusions- oder Integrationspolitik machen, weil es ist ein Klassiker, dass die schwarze Politikerin Integrationspolitik macht. Aber ich habe das Gefühl, dass jetzt eine Türe aufgemacht worden ist. Und ich finde, es wäre total fahrlässig, wenn Menschen, die ein größeres Publikum erreichen können, ihren Mund nicht aufmachen und da jetzt nicht mitkämpfen. Und ich denke mir: Ich mache das jetzt für die nächste Generation. Ich haue mich jetzt rein in die Black Lives Matter Bewegung und schaue, dass es auch auf politischer Ebene zu einer Veränderung kommt.

In der solidarischen Menschenmenge der Black Lives Matter Demo |

Weil du sagst, du schaust, dass es auch auf politischer Ebene zu einer Veränderung kommt – hast du denn das Gefühl, dass die Politik offen für Veränderung ist? Also: Gibt es Unterstützung von anderen Politiker*innen für deine und eure Ziele?

Die Reaktionen sind geteilt. Also, es gibt sehr viele, die mich unterstützen und die sich solidarisieren und fragen, wie sie mich und uns unterstützen können. Und es gibt andere, die fragen, wieso ich mich aufrege und die meinen, ich könne ja gehen, wenn es mir hier in Österreich nicht taugt. Es ist quasi auch in politischen Kreisen ein Abbild der Gesellschaft. Es gilt halt jene, die unwissend sind, aufzuklären und für das Thema zu sensibilisieren.

Weil wir über die Schnittstelle Politik und Zivilgesellschaft sprechen: Wie schätzt du den Einfluss der Zivilgesellschaft auf die Politik in Österreich ein?

Ich glaube, der Einfluss der Zivilgesellschaft ist sehr groß. Wenn man sich überlegt, dass bei der Black Lives Demo 50.000 Menschen waren, dann hat das sicherlich einen Einfluss auf die Politik. Da kann die Politik nicht wegschauen. Die Zivilgesellschaft kann in unserer Gesellschaft jedenfalls Druck aufbauen, dass sich etwas verändert – ich bin jedenfalls froh, dass es die Zivilgesellschaft gibt!

Und was meinst du, wer kann aus deiner Sicht mehr bewegen – Politik oder Zivilgesellschaft?

Ich glaube, es muss Hand in Hand gehen – ich glaube nicht, dass einer ohne den anderen kann. Und ich persönlich denke, dass viel mehr Politiker*innen zur Zivilgesellschaft zurückkommen müssen, dass sie mitgehen und mitmachen müssen. Weil man durch die Zivilgesellschaft einfach hört, wie es den Menschen wirklich geht. Wenn man das als Politiker*in nicht hört, ist das aus meiner Sicht ein fataler Fehler.

Liebe Mireille, da gebe ich dir vollkommen recht! Danke, dass du all meine Fragen sehr konzis und klar beantwortet hast! Gibt es noch etwas, das dir am Herzen liegt und das du ergänzen und mir mitgeben möchtest?

Die Black Lives Matter Bewegung ist kein „wir gegen euch“ oder „weiß gegen schwarz“– was ich auch immer wieder höre. Es ist eine gesellschaftliche Bewegung, in der wir uns miteinander solidarisieren. Wir sind Österreicher*innen – wir wollen einfach nur den gleichen Respekt, die gleichen Bildungschancen, die gleichen Chancen am Arbeitsmarkt, wie alle anderen auch. Das ist das Ziel der Bewegung: Dass wir ein sichtbarer Teil der österreichischen Gesellschaft werden.

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