Respekt & Vielfalt

Integration und Hass: „Weil man es ihnen nicht gönnt“

Im Gespräch mit der Journalistin und Kolumnistin Melisa Erkurt über die neue Justizministerin Alma Zadić, warum gelungene Integration zu mehr oder neuen Konflikten führt und was Anti-Rassismus-Arbeit braucht.

Was ist für Sie persönlich eigentlich Integration?

Integration ist ein sehr schwieriges Wort, weil alles was man darunter versteht, das Lernen der Sprache, das man sich quasi anpasst, sind alles Dinge, die man eigentlich machen sollte um für sich ein leichteres Leben zu bekommen. Das hat mit Selbstverwirklichung zu tun. Ich habe das Gefühl, viele Menschen verstehen unter Integration, dass man sich anpasst in Österreich, aber nicht dass es einem zu gut geht. Man möchte, dass sich die Migrant*innen integrieren, aber nicht dass sie es besser haben als man selber.
Außerdem verschiebt sich die Bedeutung von Integration. Ursprünglich hätte man gedacht, jemand der sich integriert ist der, der eine Ausbildung hat, der dem Staat nicht auf der Tasche liegt. Aber man sieht jetzt, dass diese Menschen, die das vermeintlich gemacht haben, auch wieder nicht gut genug sind und Hass abbekommen.

Der deutsche Soziologe Aladin El-Mafaalani beschreibt in seinem Buch das Integrations-Paradoxon, also dass gelungene Integration zu mehr oder neuen Konflikten führt.

Dem kann ich zu hundert Prozent zustimmen. Man hat die Migrant*innen, wenn überhaupt, akzeptiert, als man für sie sprechen durfte, hat sich um die Flüchtlinge gekümmert, hat Kleidung gespendet, hat ihnen geholfen. Und jetzt, wo sie ihre eigene Stimme haben und vielleicht sogar mehr erreichen als man selber, irritiert das die Mehrheitsgesellschaft und es kommt zu neuen Konflikten, die so noch nicht dagewesen sind. Weil das erst die ersten Generationen sind, die tatsächlich genauso viel oder mehr als durchschnittliche autochthone Österreicher*innen erreichen. Das sind Konflikte, die beide Seiten nicht kennen. Die Migrant*innen selber haben sich gedacht: Wenn ich es mal bis hierhin schaffe, also wenn ich mal Justizministerin bin beispielsweise, was soll denn da noch kommen an Anfeindungen, ich hab’s ja allen recht gemacht. Und dann merken sie: Der Hass kommt eigentlich noch stärker. Diese haben auch eine neue Rolle und die Mehrheitsgesellschaft bemerkt: Das passt mir jetzt auch irgendwie nicht, wenn Migrant*innen mehr erreichen als ich oder beispielsweise den Arbeitsplatz wegnehmen. Da kommt es zur Ellbogengesellschaft. Das ist für beide Seiten irgendwie neu, vor allem für die neue Generation von Migrant*innen.

Stichwort neue Generation: Mit Alma Zadić hat Österreich nun die erste Ministerin, die als Kind nach Österreich geflüchtet ist. Wie beurteilen Sie die Bestellung von Ihr als Justizministerin?

Die Bestellung ist aufgrund ihrer Expertise erfolgt, die hat sie allemal. Wenn man sich den Bildungsweg von Alma Zadić ansieht, dann musste sie zwei oder drei Mal mehr leisten als autochthone Österreicher*innen, um dasselbe zu bekommen. Sie meint: Sie kennt diese Floskeln, die Migrant*innenkindern immer gesagt werden. Und das sehe ich kritisch, dass man es quasi als Migrant*in nur soweit schafft, dass man Justizministerin wird, wenn man mehr leistet als die durchschnittlichen Österreicher*innen. Alma Zadić, die jüngste Justizministerin aller Zeiten, hat nicht nur das Doktorat, sondern auch international gearbeitet und studiert. Overperformer nennt man Migrant*innen, die zu viel geben, um dahin zu kommen, wo es autochthonen Österreicher*innen mit viel weniger Aufwand geschafft hätten.

Alma Zadić hat aus dem rechtsgerichteten Lager sehr viele Hassmeldungen, auch Morddrohungen erhalten. Ihre Ausbildung oder Expertise ist ja nicht Thema dieser Hassmeldungen, sondern ihre Herkunft und Religion. Warum werden Migrant*innen mit soviel Hass diesbezüglich konfrontiert?

Weil man es ihnen nicht gönnt. Man möchte nicht, dass es den Migrant*innen besser geht. Weil eigentlich denken im Grunde noch ganz viele: Das ist unser Land und wir bestimmen. Wir machen die Regel. Unsere Regel war bisher: Sie dürfen hier sein, solange sie nicht mehr bekommen als wir. Das merkt man an Falschmeldungen, wie zum Beispiel geflüchtete Menschen bekommen ein iPhone. Die Menschen regen sich auf, sobald irgendwie scheinbar Migrant*innen mehr kriegen oder mehr erreichen. Da ist ja kein kriegen, sie haben es sich ja verdient.
Die Reaktion von anderen Politiker*innen auf den Hass, der Alma Zadić entgegenkommt, hat ja auch gezeigt, dass hier nicht differenziert wird. Da hieß es dann plötzlich: Ich spreche mich gegen den Hass aus, aber auch ich bekomme Hass ab von links. Da muss man unterscheiden, dass Alma Zadić nicht aufgrund ihrer Politik den Hass bekommt, sondern sie bekommt diesen Hass ab aufgrund ihrer Herkunft und braucht jetzt Polizeischutz. Das ist eigentlich ein unglaublicher Skandal und ist erschreckend, dass dies in Österreich noch so ist. Sie ist eine Justizministerin, die perfekt Deutsch spricht, die eine tolle Ausbildung hat und nicht einmal Kopftuch trägt und trotzdem kriegt sie soviel Hass ab. Auch die eigene Partei hat gesagt: Sie ist ja keine Muslima. Das ist keine Rechtfertigung. Und selbst wenn sie es wäre, rechtfertigt das nicht den Hass, den sie abbekommt. Den kriegt sie aber sehr wohl ab, weil die Leute ihren Namen und ihre Herkunft muslimisch deuten. Das ist antimuslimischer Rassismus der hier gezielt stattfindet. Ich weiß nicht, wäre sie polnischer Herkunft, ob dieser Hass auch so groß wäre.

Die Rechtfertigung, dass sie „eh keine“ Religionsbekenntnis hat, ist eigentlich erschreckend.

Ich finde es aber gut, dass sie das klarmacht, wenn ihr das wichtig ist. Aber in dem Kontext war es etwas deplatziert als erste Äußerung zu tätigen. Es ist natürlich kein Vergleich, wenn Bundeskanzler Kurz Hass abbekommt. Er wurde nicht aufgrund seiner Waldviertler bzw. Meidlinger Herkunft angefeindet, sondern wegen seiner Politik, die manchen halt nicht passt.

Und jetzt, wo sie ihre eigene Stimme haben und vielleicht sogar mehr erreichen als man selber, irritiert das die Mehrheitsgesellschaft.

Der alte und neue Bildungsminister Heinz Faßmann ist in Deutschland geboren und im Jahr 1994 österreichischer Staatsbürger geworden. Hier ist der Migrationshintergrund überhaupt kein Thema. Wird hier mit zweierlei Maß gemessen?

Selbstverständlich. Weswegen es mich auch ärgert, wenn Menschen, die es gut meinen, sagen: Sie ist ja gar nicht die erste Ministerin mit Migrationshintergrund. Ja eh, aber wir wissen alle was gemeint ist. Erstens war sie ein Flüchtlingskind und ist die erste Ministerin, die diesen Hintergrund hat und zweitens wissen wir alle, dass es einen Unterschied macht ob man bosnischer oder deutscher Herkunft ist. Das zu leugnen, auch wenn man es vermeintlich gut meint, verwischt die Realität. Wir müssen erkennen, dass Österreich noch nicht so weit ist, im Sinne von ohne es zu thematisieren eine Ministerin mit Migrationshintergrund zu haben. Das müssen wir spätestens jetzt anerkennen, daran arbeiten und einsehen, dass man Rassismus nicht verhindern oder vorbeugen kann indem man sich integriert und dass Rassismus von der Mehrheitsgesellschaft genauso bekämpft werden muss. Nur so kann man Rassismus stoppen.

Sie waren bis Juni 2019 AHS-Lehrerin. Wie war Ihre Wahrnehmung zu Integration im Schulalltag?

Die Schüler*innen nehmen es sehr wohl wahr, dass sie Feindbild in Österreich sind. Ich habe das bei Ausflügen gemerkt, wenn sich Personen von uns weggesetzt haben, wenn Schülerinnen Kopftuch trugen oder Burschen dunkle Haare hatten und die Menschen schiefe Blicke getauscht haben. Das habe nicht nur ich gespürt, das haben die Schüler*innen gespürt und je nachdem geht jede*r anders damit um. Dann gibt es welche, die sind Overachiever wie Alma Zadić, leisten und verausgaben sich um endlich Anerkennung zu erfahren. Ich finde den Ansatz auch nicht richtig, dass man als integriert gilt, wenn man eine Karriere hinlegt. Man sagt das auch nicht österreichischen Arbeiter*innen oder Menschen die keinen Job haben, dass sie sich nicht in ihr Land integriert haben. Das ist die eine Seite, die Overachiever, meist junge Mädchen und Frauen. Und dann gibt es oft leider die Burschen, die spüren, dass sie nicht die gleichen Voraussetzungen haben und die dann mit Trotz kontern und Klischees bedienen. Die sich denken: Na gut, wenn ihr uns so seht, dann bedienen wir mal die Klischees. Das sind dann die frechen Burschen, die schlechtere Noten haben.

Was wünschen Sie sich von der aktuellen Regierung hinsichtlich Integrationspolitik?

Dass man mehr Verbesserungen in den pädagogischen Einrichtungen vornimmt. Dass man auch einsieht, dass der Deutschunterricht, die Deutschförderklassen wie sie jetzt sind, nicht reichen. Der Gesellschaft kann es wurscht sein, ob Kinder Deutsch können oder nicht. Mir tut es leid um die Kinder und Jugendlichen, die dann kein ausreichendes Deutsch können und keine Chance bekommen. Hier muss zwischen Bildung und Integration viel enger zusammengearbeitet werden. Ein erster guter Schritt war die Ablehnung des Verfassungsgerichtshofes der an Deutschkenntnisse gekoppelten Mindestsicherung. Ich hoffe die Politik sucht kein Schlupfloch oder findet einen ähnlich menschenfeindlichen Ansatz, sondern sieht ein, dass das nicht auf Druck gehen kann. Keiner wird sich mit Sanktionen integrieren können. Sondern dass es Zeit und Geduld braucht und unbedingt an pädagogische Einrichtungen gekoppelt ist, dass man Anti-Rassismus-Arbeit an den Schulen leistet, Lehrer*innen geschult werden müssen. Dass auch die Migrant*innen sehen, wenn es um Intregration geht, heißt es nicht immer die Migrant*innen müssen was tun, sondern sie sehen, dass für sie etwas gemacht wird.

Integration muss also von allen Menschen geleistet werden?

Man sieht es ja bei Alma Zadić. Sie hat alles gemacht, es hat nicht gereicht. Es hat nicht vor diesen rassistischen extremen Anfeindungen geschützt. Es kann niemand mehr leugnen, dass es sowas in Österreich nicht gibt. Und dies nicht nur von den Identitären. Sieht man sich die Kommentare an, schreibt auch der ganz normale durchschnittliche Österreicher, dass sie die Scharia einführt.

Integration durch Leistung passt dann doch auch irgendwie nicht.

Nein, und deswegen haben wir auch so wenige Politiker*innen mit Migrationshintergrund. Nicht jede*r möchte sich dem aussetzen. So schafft man es Migrant*innen klein zu halten, das ist auch das Ziel dieser Rassist*innen. Umso wichtiger, wie Alma Zadić damit umgeht. Sie ist ein Vorbild für so viele junge Mädchen mit Migrationshintergrund, denen man ehrlich sagen kann, dass sie die Chance haben, in Österreich etwas zu werden. Das ist nun nicht mehr nur so eine Floskel. Man muss aber mit viel Anfeindung rechnen. Ich kann es jetzt nicht guten Gewissens jungen Frauen ans Herz legen, weil es gibt noch immer viele Abstriche, die man als Frau mit Migrationshintergrund machen muss.

Zur Person:

Melisa Erkurt wurde in Sarajevo geboren und ist mit ihrer Familie im Zuge des Bosnienkrieges nach Österreich geflüchtet. Sie war bis Juni 2019 als AHS-Lehrerin tätig und ist nun als Journalistin im ORF-„Report“ beschäftigt. Außerdem schreibt sie als Kolumnistin im „Falter“.

Melisa Erkurt_c_twitter

Diesen Artikel teilen

Facebook
Twitter
LinkedIn
WhatsApp
Email
Drucken