Umwelt- & Klimaschutz

Jonathan Safran Foer: Wir sind das Klima

Essen ist immer a) privat, b) persönlich, c) kulturell/regional. a) bis c) zusammen machen das Essen zu einem der „Identitäts“-Features. Die Kritik an dem Begriff der „Identität“ spare ich mir für eine andere Gelegenheit auf.

Wenn die Welt gerade droht, unterzugehen und es heißt: Hey Du, tu auch ein bissl was dazu, dass wir die Kurve vielleicht doch noch kratzen, dann sind – in dieser Reihenfolge: Essen, Autos, Flieger – die Dinge, die ganz viele Leute aggressiv machen.

Die Politik soll das regeln, der Einzelne kann ja gar nichts machen, das ist ja wurscht, ob ich persönlich ein Hendl um drei Euro kaufe oder am Abend schick einen Burger in einem Lokal verspeise, das mit „Ich will ein Rind von Dir“ Werbung macht. Wirklich? Echt jetzt?
Foers Buch von 2009, „Eating Animals“ / Tiere essen“ war extrem wichtig und hat nicht wenig dazu beigetragen, dass ich mich in die Tierethik eingelesen habe, Mitglied beim Verein gegen Tierfabriken geworden bin und von vegetarisch auf vegan geschwenkt bin (für ein paar Jahre, dann kam das Käse Craving zurück). Beim Erscheinen der deutschen Ausgabe bin ich mit meinem englischen Exemplar zur Buchpräsentation ins Rabenhoftheater gepilgert und hab mir eine Widmung abgeholt – das hatte ich zuletzt als Teenager gemacht. Also wichtig – für mich damals und immer noch. Die Argumente in „Eating animals“: eine in Zahlen nüchterne Auflistung der Kosten von Tierfabriken – unpackbar! Jetzt wissen wir viel darüber, aber damals war das augenöffnend, drastisch, entsetzlich. Massentierhaltung ist ungefähr ein so abstrakter Begriff wie Klima – aber „Eating animals“ macht den Schritt von den Zahlen ins Leben. Es hat einen integralen Beitrag geleistet, die Tierrechtsbewegung aus dem sektiererischen Eck zu bringen und vegane und vegetarische Lebensweisen zu kontextualisieren und zu ihrer Verbreitung beizutragen.

Hey Du, tu auch ein bissl was dazu, dass wir die Kurve vielleicht doch noch kratzen.

Nicht zufällig sind das erste und das letzte Kapitel in „Tiere essen“ mit „Storytelling“ überschrieben. – Die Story, die Foer über seine Großmutter erzählt, ist so groß, dass sie für immer bleibt:

Die Großmutter verließ als junges Mädchen ihre Familie in einem polnischen Dorf auf der Flucht vor den Nazis. Sie schlug sich durch, versteckte sich und rannte weiter, hungerte, wurde schwach und schwächer, konnte kaum noch die Kraft zur Bewegung aufbringen, als ihr ein Bauer ein Stück Fleisch zusteckte. Es war Schweinefleisch – sie nahm es nicht an, weil es nicht koscher war. Der entsetzte JSF fragt sie Jahrzehnte später: Du hast es nicht genommen, obwohl es Dein Leben gerettet hätte? „Wenn nichts mehr zählt, dann gibt es auch nichts zu retten.“

Das ist stark, nicht wahr? Solche Stories erzählt JSF und er tut es meisterhaft – und sehr persönlich. Es ist schwierig, sich dem moralischen Suggestivismus seiner Bücher zu entziehen, sie kriechen rein und machen ihre Arbeit von innen.
JSFs Großmutter kommt in dem neuen Buch zurück, am Ende ihres Lebens.

Das Argument des alten Buches war: Leb vegetarisch! Es ist besser für alle, für die Tiere sowieso, aber auch für uns als moralische Wesen, als verantwortungsvolle Menschen, die eine Wahl haben und die Entscheidungen nach den großen wichtigen Prinzipien treffen können. „Tiere essen ist falsch“. So einfach ist das. Wenn es sogar die Großmutter konnte, werden wir das doch wohl noch zusammenbringen.

Das neue Buch „Wir sind das Klima! Wie wir unseren Planeten schon beim Frühstück retten können“ macht einen anderen Punkt, knüpft aber an derselben Story an. „Tiere essen killt den Planeten“. Zwischen 19 und 51Prozent (ja, soweit liegen die Zahlen auseinander) des CO2 Ausstoßes gehen auf die Produktion von tierischen Lebensmitteln. Im Fall von Rindern kommen Methan und nitrose Gase dazu, die beide einen noch viel verheerenderen klimaschädlichen Effekt haben als CO2. Selbst, wenn die niedrigere Zahl zutreffend(er) ist, ist das immer noch mehr als der Flugverkehr mit derzeit angenommenen 14 Prozent! Also keine kleine Sache – und eine, über die wir jeden Tag die Hoheit haben.

Es kommt also, das ist die Botschaft, schon auf uns an, auf jede einzelne Entscheidung.

Warum ist nur die Großmutter geflüchtet damals, warum haben sich die anderen Familienmitglieder nicht dazu entschließen können? Die jüngere Schwester hat ihr noch ihre Schuhe geschenkt und zum Abschied gesagt: „Ein Glück, dass Du gehen kannst“. 

Es kommt also, das ist die Botschaft, schon auf uns an, auf jede einzelne Entscheidung.

Wir sind ja gerade eben Zeugen der Wichtigkeit der individuellen Entscheidung: Greta Thunberg hat sich alleine vor den Reichstag in Stockholm gesetzt. Wir wissen, welche Bewegung daraus entstanden ist. JSFs Großmutter hat sich für die Flucht entschieden. Als ihr Enkelsohn auf die Welt kam, hat sie ihn mit einem zärtlichen „Meine Rache“ auf der Welt begrüßt.

Wir müssen, sagt Foer und denkt dabei an die Wellen in Fußballstadien oder an die Wellen, die Bienenvölker machen, um Angreifer abzuwehren, versuchen, „eine Welle“ zu initiieren, eine Bewegung, die von Einzelnen ausgeht und viele mitnimmt und sich selbst perpetuiert, damit wir den Planeten noch retten können.

Die Zahlen sind devastierend und eigentlich so, dass sie einen verzagt, verzweifelt und passiv machen. Wenn da nicht die Aussicht auf die Welle wäre: auf den kleinen Schritt, den es für jede*n braucht und den aber auch jede*r machen kann.

Am Ende des Buches = am Anfang der persönlichen Weltrettung läuft es auf eine ganz einfache Sache hinaus: Pflanzlich essen und nur einmal am Tag was Tierisches. JSF schlägt dafür das Abendessen vor, weil er ein netter Kerl ist und sich denkt, das schaffen die Bobos nicht, dass sie ohne Steak den Abend überstehen, aber okay, das kann ich schon verstehen, passt. Und man kann ja bei dieser kleinen Lebensänderung, die dem Planeten so viel bedeuten würde, daran denken, was Foers Großmutter für eine Welle ausgelöst hat.

Wie denken Sie darüber?

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