Bildung & Ausbildung

Kinder in ihrer Selbstermächtigung stärken

Welche Weihnachtslieder singen wir heuer? Welches Ballspiel sollen wir heute im Sportunterricht spielen? Wer soll Klassensprecher*in sein? Diese Fragen haben vor allem eines gemeinsam: Sie erwarten eine Entscheidung. Entweder kann eine Person entscheiden oder man stimmt ab und es wird das gemacht, was die Mehrheit will. Als dritte Option gibt es noch das sogenannte Systemische Konsensieren, wobei der größtmögliche Konsens in der Gruppe gesucht wird. „Ziel des Konsensierens ist es, einerseits eine Entscheidung auf Augenhöhe zu treffen und andererseits ein Ergebnis zu finden mit dem alle Beteiligten gut leben können“, erklärt Dominik Berger. Dominik Berger ist Trainer, Moderator und Mitentwickler des Systemischen Konsensierens und Geschäftsführer der Firma Business Konsens.

Der Lerneffekt für Kinder ist groß: „Beim Konsensieren werden Kinder nicht nur in ihrer Selbstermächtigung und Handlungsfähigkeit gestärkt, sondern lernen gleichzeitig wesentliche soziale Elemente, wie beispielsweise auf andere Rücksicht nehmen, Konflikte friedlich lösen, trotz Interessenunterschieden zu guten Lösungen finden“, so Berger. Sobald Kinder das Prinzip einmal verstanden hätten, würden sie es lieben.

Wie funktioniert das Systemische Konsensieren?

Beim Systemischen Konsensieren wird nach jener Antwort gesucht, die den geringsten Widerstand erfährt. Denn die Lösung mit der kleinsten Ablehnung in der Gruppe bedeutet im Umkehrschluss die größtmögliche Akzeptanz.

Und so funktioniert das Konsensieren im einfachsten Fall:

  1. Zuerst sucht die Gruppe realisierbare Lösungsvorschläge. Jeder darf seine Lösung oder seine Antwort zur Fragestellung einbringen. Die Vorschläge werden gesammelt und zur Abstimmung gebracht.
  2. Im zweiten Schritt erfolgt die Abstimmung: Jede Person gibt an, wie sie zu den einzelnen Lösungen stehen. Dies geschieht meist anhand einer Skala von 0 bis 10, wobei 0 kein Widerstand bedeutet und 10 totaler Widerstand. Die Werte 1 bis 9 werden je nach individuellem Gefühl vergeben. Die Werte werden aufgeschrieben und abgegeben.
  3. Am Ende werden alle Werte zusammengezählt. Es wird der Lösungsweg mit dem geringsten Widerstand gewählt, sprich der mit der niedrigsten Summe.

Doch was tun, wenn Kinder nur ihren eigenen Lösungsvorschlag wählen? Laut Dominik Berger passiert dann die sogenannte Selbstreinigung: „Wenn du unehrliche Bewertungen abgibst, kann es sein, dass die Lösung, mit der du auch noch leben könntest, total verliert. Du kannst zwar deine Lieblingslösung pushen, aber du gibst keine Informationen ab, was deine zweit- oder drittbeste Variante wäre. Das heißt, du schadest eigentlich nur dir selbst. Wenn Kinder diese Lernerfahrung machen, dann fallen sie vielleicht einmal auf die Nase und lernen damit ehrlich zu antworten.“

Wie gelingt das Konsensieren mit Kindern?

Mit den folgenden fünf Tipps von Dominik Berger zur Herangehensweise gelingt das Konsensieren mit Kindern so gut wie immer:

  1. Offene Fragestellung: Konsensieren ist vor allem bei offenen Fragen sinnvoll, bei denen unterschiedliche kreative Lösungsvorschläge willkommen sind. Ebenso sollten alle Kinder gleich stark von der Beantwortung der Frage betroffen sein.
  2. Passivlösung: Was passiert, wenn wir uns nicht entscheiden können? Die Option, wenn sich die Gruppe nicht einigen kann, sollte festgelegt werden. Diese Lösung kann auch mitbewertet werden.
  3. Ergebnisoffenheit: Das Konsensieren kann man durchaus auch spielerisch sehen. Es gibt auch einfach ein Stimmungsbild ab.
  4. Methodenakzeptanz: Zuletzt ist es unabdingbar, dass sich die Kinder auf das Konsensieren einlassen wollen. „Das Prinzip des Systemischen Konsensierens ist es, das ‚Nein‘ eines Menschen ernst zu nehmen und es als kreatives Potenzial zu nützen. Ich kann keine Methodik einführen, die das ‚Nein‘ achten soll, wenn ich dabei das ‚Nein‘ nicht achte“, sagt Berger.
  5. Pädagogische Methoden: Um die Widerstandspunkte zusammenzählen zu können, sollten Kinder bereits addieren können. Falls das nicht der Fall ist, kann man sich spielerische Alternativen überlegen. So kann beispielsweise die Skala mit Gesten ersetzt werden:
    1. Hände vor der Brust verkreuzt = Es ist mir OK
    2. Eine Hand nach vorne = Ich lehne diese Version ab
    3. Zwei Hände nach vorne = Ich lehne diese Version sehr stark ab

Dominik Berger hat gemeinsam mit seinem Team außerdem ein Online-Tool entwickelt, womit digitales Konsensieren möglich ist: www.acceptify.at

Systemisches Konsensieren

Sei es in der Schule bei der Planung von Ausflügen oder bei der Klassensprecherwahl, zu Hause in der Familie bei der Freizeitgestaltung oder auch im Kindergarten bei der Spieleauswahl: Das Systemische Konsensieren kann fast überall Anwendung finden. Habt ihr es bereits ausprobiert? Was sind eure Erfahrungen damit? Schreibt uns gerne Feedback auf: redaktion@respekt.net oder auf Facebook.  

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