Flucht & Zuwanderung

Menschen hinterlassen ihre Spuren: So auch Nawid

Mit „Nawid ist weg“ schildert Ernst Schmiederer die Geschichte eines jungen afghanischen Asylwerbers, der als Minderjähriger mit der Hoffnung nach Frieden nach Österreich floh und hier nicht bleiben konnte. Das Buch erzählt aber mehr als nur die Geschichte einer Weiterflucht. Es geht hier vor allem um den Menschen, der von politischen Maßnahmen betroffen ist. Denn ja, Politik ist nicht nur Politik. Politik kann weitreichende Folgen im Leben eines Individuums haben und „Nawid ist weg“ zeigt genau das auf. Das Buch wühlt auf, lässt einen mitfühlen. Genau wie einige der Autor*innen der Kurztexte im Buch fühle auch ich als Leserin das Unverständnis und die Wut darüber, was in Österreich heute geschieht.

Seite für Seite lernt man Nawid und einen Teil seiner Lebensgeschichte kennen. Im Buch finden sich unterschiedliche Autor*innen zusammen – mal schreibt Nawid, mal die Menschen, die ihn kennen und mögen gelernt haben. Ein andermal erzählen geflüchtete Jugendliche von ihren Träumen und Hoffnungen und erzählen somit den Teil einer Geschichte, den womöglich viele Menschen mit Fluchterfahrung miteinander teilen. Die abgebildeten Fotos zeigen Nawid, wie er herzlich lächelt, an einer Lesung teilnimmt und Zeit mit seinen Mitmenschen verbringt. Und Stück für Stück kommt man als Leser*in nicht mehr umhin, als an Nawids Schicksal teilzunehmen.

So wie Nawid mit seiner freundlichen Art Spuren im Leben der Menschen, die er in Österreich kennengelernt hat, hinterlassen hat, so wird auch das Gelesene in diesem Buch einen nicht mehr so rasch loslassen.

Weiterflucht

Nawid hat sich in Österreich eingelebt. Er hat Deutsch gelernt, Freude am Theaterspielen entdeckt, seine Schule abgeschlossen und hat auf einen Ausbildungsplatz gewartet. Er hat hier Freund*innen gefunden. Ein Musterbeispiel für Integration, oder? Die Zeit in Österreich war jedoch auch geprägt von Unsicherheit und Angst – zur Ruhe kommen war also nicht. Drei negative Asylbescheide hat er erhalten. Nach jedem negativen Bescheid kämpfte er mit Depressionen und trotzdem hat er es jedes Mal geschafft, sich aufzuraffen und wieder am Alltagsleben teilzunehmen. Nach dem dritten Bescheid droht ihm jetzt die Abschiebung.

Nawid ist einer von vielen, denen das gleiche Schicksal in Österreich droht. Und wie viele andere afghanische Asylwerbende wählt er die Option der Weiterflucht nach Frankreich. Denn Frankreich schiebt nicht nach Afghanistan ab, weil es das Land als nicht sicher bewertet. Daher bleibt auch Nawid keine andere Möglichkeit. Nicht, wenn er sein eigenes Leben und die Aussicht auf Frieden nicht aufgeben möchte. So nimmt er die Strapazen, die eine Flucht und das Warten auf einen Asylbescheid mit sich bringen, ein weiteres Mal in Kauf.

An diesem Punkt möchte ich die Rezension außerdem zum Anlass nehmen, um auf diesen – oftmals im Diskurs vernachlässigten – Punkt eingehen: Das Asylverfahren und die damit einhergehende Unsicherheit und Wartezeit bedeutet für viele Asylwerbende eine enorme psychische Belastung. So können Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) oder Depressionen bei Betroffenen auftreten. Viele geflüchtete Menschen leiden generell unter diversen Angsterkrankungen, Belastungsstörungen und Depressionen. Dass das Asylverfahren, der Prozess der Interviews und die möglichen negativen Bescheide nicht gerade förderlich für das psychische und seelische Wohl der Betroffen sind, liegt wohl auf der Hand. Und trotzdem müssen Menschen wie Nawid ein weiteres Mal diesen Weg einschlagen.

Die Moral der Geschichte

Also flieht Nawid, dieses Mal jedoch aus Österreich. Und Ernst Schmiederer hält richtigerweise fest: Österreich hat Nawid zu einem Umherirrenden gemacht. (S.9) Es ist letztendlich unsere Politik, unser Asylverfahren, unser Standpunkt, dass „Afghanistan sicher“ sei, und ihm daher kein Asyl gewährt wurde.

Aber Afghanistan ist nicht sicher. Dieser Umstand ist dem Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres durchaus bekannt, da Afghanistan mit einer Reisewarnstufe 6 gekennzeichnet ist und somit von allen Reisen in das Land abgeraten wird, mit dem Hinweis, dass eine generelle Gefährdung von Leib und Leben bestehe. Dass Menschen also trotzdem nach Afghanistan abgeschoben werden und damit die Tatsache, dass das Leben dieser Menschen in Gefahr sein könnte, komplett ignoriert wird, ist einzig und allein auf politischen Unwillen zurückzuführen. Denn würde Österreich Afghanistan als „unsicheres Herkunftsland“ anerkennen, würde das Non-Refoulment-Gebot der Genfer Flüchtlingskonvention in Kraft treten und somit Abschiebungen nach Afghanistan menschenrechtlich nicht mehr möglich machen.

Die Umherirrenden sind ein Produkt unserer Politik! (S.1 3)

Wegen Menschen wie Nawid setzen sich unzählige zivilgesellschaftlich engagierte Menschen und Gruppen ein. Sie setzen sich dafür ein, dass geflüchtete Menschen nicht in Länder zurück abgeschoben werden, in denen (bürger-)kriegsähnliche Zustände herrschen, in denen ihnen Verfolgung, Mord oder Folter drohen. Auch Österreich hat sich zur Einhaltung der Menschenrechte verpflichtet und es wird Zeit, dass wir uns wieder zu den Grundsätzen der Menschenrechtskonvention bekennen.

Die Redaktion wünscht Nawid alles Gute und wünscht ihm, dass er endlich ein Leben in Frieden findet.

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