Respekt & Vielfalt

Mit Feinden will man nicht argumentieren

Die Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun und die Sozialpsychologin Pia Lamberty wollen mit Ihrem Buch „Fake Facts. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen“ der Verbreitung von Verschwörungserzählungen etwas entgegensetzen. Denn „gerade in Zeiten der Krise braucht es nicht noch mehr Verunsicherung, Hass und Hetze. Was es braucht, ist vor allem Solidarität“, heißt es im Buch. Ein Gespräch mit der Autorin Katharina Nocun darüber, wieso Menschen den absurdesten Mythen Glauben schenken und wieso das Lachen über Verschwörungsgläubige dennoch kein guter Umgang mit dem Thema ist.

Ich würde gerne mit einer Frage beginnen, die Sie in letzter Zeit wohl schon öfters gehört haben: Gibt es seit dem Ausbrechen der Pandemie eine Konjunktur von Verschwörungserzählungen?

 

Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Empfinden von Kontrollverlust und der Neigung an Verschwörungserzählungen zu glauben. Daher liegt die Vermutung nahe, dass Menschen, die bisher nicht an Verschwörungserzählungen glaubten, in Krisenzeiten in solche Kreise geraten. Erste Zahlen zeigen zumindest für Deutschland einen Anstieg, der aber bei weitem nicht so stark ist wie erwartet. Bereits vor der Pandemie gab es einen nicht kleinen Anteil von Menschen, die zumindest teilweise an Verschwörungsnarrative glaubten. Allerdings fehlte die Sichtbarkeit. Es wurde darüber nicht so offen diskutiert. Das ist auch eine Chance, die wir derzeit haben: Das Thema ein wenig aus der Schmuddel-Ecke zu holen, zu kommunizieren, dass diese Leute nicht dumm oder psychisch krank sind, dass es in jeder Familie passieren kann und dass es auch Hilfsstrukturen gibt.

Katharina Nocun
Katharina Nocun erklärt wieso Menschen den absurdesten Mythen Glauben schenken

Für viele Menschen ist es schwer nachvollziehbar, wieso jemand an Verschwörungserzählungen glaubt. Als einen Grund dafür, haben Sie Kontrollverlust genannt. Welche Bedürfnisse werden durch Verschwörungserzählungen befriedigt?

Von Aussteiger*innen hört man häufig, dass Verschwörungsideologen sie im Zeitpunkt einer Krise abgeholt haben. Da geht es um klassische Krisen wie Scheidung, Trennung, Arbeitsplatzverlust, wirtschaftliche Unsicherheiten. In solchen Situationen kann das Gefühl entstehen, dass einem das Leben entgleitet. Eine Verschwörungserzählung gibt den Menschen zumindest das Gefühl einer gewissen Kontrolle zurück. Man kennt den Plan und kann das Böse, die Schuldigen benennen. Studien zeigen außerdem, dass Menschen, die ein starkes Bedürfnis nach Einzigartigkeit haben, eher gefährdet sind. Das liegt daran, dass der Glaube an Verschwörungserzählungen einem etwas gibt: Ich bin Teil einer kleinen Gruppe, die die Wahrheit kennt und dadurch die Menschheit retten kann. Das ist ein attraktives Selbstbild.

Die Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun und die Sozialpsychologin Pia Lamberty wollen mit Ihrem Buch der Verbreitung von Verschwörungserzählungen etwas entgegensetzen.

Im Buch „Fake Facts“ schreiben Sie, dass Verschwörungsmythen ein Potential zur Radikalisierung bergen. Inwieweit können der soziale Zusammenhalt sowie die Demokratie durch Verschwörungsmythen gefährdet werden?

Das sieht man derzeit ganz konkret an den USA: Wenn ein bestimmter Anteil der Bevölkerung Institutionen wie der Wissenschaft oder den Medien nicht vertraut, findet man als Gesellschaft nur noch ganz schwierig zueinander. Ein demokratischer Diskurs ist kaum noch möglich. Innerhalb von Verschwörungserzählungen werden Feindbilder konstruiert, die verhindern, dass man Lösungen finden und Argumente austauschen will. Feinde will man bekämpfen. Dadurch kann Gewalt einfacher gerechtfertigt und ein demokratischer Diskurs torpediert werden. Diese Dynamik konnte man zum Beispiel bei der Stürmung des Kapitols in Washington sehen, bei der auch Waffen sichergestellt wurden. Im Zentrum dieser Stürmung standen auch Anhänger*innen der verschwörungsideologischen Gruppe QAnon. Die USA sind da haarscharf an einem noch größeren Unglück vorbeigeschrammt, denn es reicht schon ein einziger Überzeugungstäter, der willens ist Gewalt anzuwenden, um eine Katastrophe auszulösen.

Und wie sieht es in Europa aus?

In den letzten Jahren haben rechtsextreme Attentäter ihre Taten durch Verschwörungserzählungen gerechtfertigt, auch in Europa. Bei den rechtsextremen Anschlägen in Hanau oder Halle, glaubten die Attentäter an einen angeblich „großen Austausch“ – also daran, dass die „Mehrheitsbevölkerung“ durch Migration gezielt „ausgetauscht“ werden soll. Dieses Verschwörungsnarrativ ist ein Klassiker in der rechtsextremen Szene und wird seit Jahren zur Radikalisierung eingesetzt. Dennoch sind wir in Europa derzeit weit entfernt von US-amerikanischen Zuständen. Das liegt unter anderem daran, dass es eine andere politische Landschaft gibt. Donald Trump hat sehr stark mit Verschwörungsnarrativen Politik gemacht. Teilweise boten ihm große Medien ein Podium und stellen Inhalte nicht richtig. Das trägt zur Verbreitung von Verschwörungserzählungen bei. In Europa passiert das zwar auch, allerdings deutlich weniger. Trotzdem wurden und werden Verschwörungserzählungen auch in Europa als ein Mittel der politischen Kommunikation missbraucht: Verschwörungserzählungen, die den jüdischen Milliardär George Soros zum Feindbild erklären, wurden beispielsweise von der ungarischen Orban-Regierung systematisch verbreitet. Man darf dabei auch nicht vergessen: Verschwörungsmythen waren auch ein sehr großer Bestandteil der Propaganda des Nationalsozialismus.

Trotz dieser Gefährlichkeit von Verschwörungserzählungen habe ich das Gefühl, dass sich viele Menschen über Verschwörungsgläubige lustig machen. Verschwörungserzählungen werden oft belächelt, als absurd abgetan, aber selten ernst genommen. Verkennt dieses Lächerlich-Machen die Gefahren dahinter?

Definitiv. Ich verstehe dieses Lächerlich-Machen auf einer menschlichen Ebene. Es ist eine Reaktion, die Angst nehmen kann. Trotzdem muss man die Bedrohung ernst nehmen. Es fällt uns gerade auf die Füße, dass das Thema lange als lächerlich wahrgenommen wurde. Dadurch haben wir es verpasst über Verschwörungsideologien aufzuklären. Dabei zeigen Studien, dass bei Menschen, die die Mechanismen hinter Verschwörungserzählungen kennen und wissen, wann und warum sie selbst verletzlich sind, die Anfälligkeit für solche Narrative sinkt.

Sie haben bereits viel über Rechtsextremismus gesprochen. Lässt sich die Frage, wer an Verschwörungserzählungen glaubt, politisch einordnen?

Grundsätzlich zieht sich der Glaube an Verschwörungserzählungen quer durch die Bevölkerung. Verschwörungserzählungen sind daher in allen politischen Lagern vertreten. Die Narrative zu 9/11 waren beispielsweise lange Zeit sehr populär in linken Kreisen. Aktuell gehen Forscher*innen aber davon aus, dass Verschwörungserzählungen besonders stark in rechtspopulistischen und rechtsextremen Gruppierungen anzutreffen sind. Das hängt damit zusammen, dass rechtsextreme oder rechtspopulistische Parteien sehr aggressiv Wahlkampf mit Verschwörungserzählungen machen. Außerdem spielt Antisemitismus in vielen Verschwörungserzählungen eine große Rolle und das schon sehr lange. Es gibt Verschwörungsnarrative aus dem Mittelalter, in denen jüdischen Communities unterstellt wurde, Kinder zu entführen und zu ermorden. Im Nationalsozialismus wurde die Lüge verbreitet, dass Impfungen von Juden erfunden wurden, um uns zu vergiften. Das sind nach wie vor wiederkehrende Narrative. Für rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien ist es sehr einfach an diese alten Mythen anzuknüpfen. Daher braucht es mehr wirksame Bildungsarbeit. In meiner Schulzeit wurde zum Beispiel NS-Propaganda als isoliertes Problem in der Geschichte betrachtet. Es wäre aber sehr wichtig, das mit aktuellen Geschehnissen zu verknüpfen, damit die Strukturen dahinter verständlich werden. In letzter Zeit ist sehr viel in der Forschung zu Verschwörungserzählungen passiert. Jetzt stehen wir vor der Herausforderung, aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse in den Bildungsbereich zu übertragen.

Hilfsangebote für Angehörige

Die Beratungsstelle Extremismus bietet kostenlose und anonyme Beratungen zum Thema Verschwörungserzählungen.
Tel.: 0800 20 20 44 | Mail: office@beratungsstelleextremismus.at

 
Auch die Bundesstelle für Sektenfragen bietet Informationen und Beratung in Zusammenhang mit Weltanschauungsfragen.

Tel.: 015130460 | Mail: bundesstelle@sektenfrage.at

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