Crowdfunding

Mukis: Halt beim Fallen ohne Netz

Mittwoch 18 Uhr. Eine verzweifelte Stimme am Telefon.
Es ist Irina, sie wurde von ihrem Partner einfach auf die Straße gesetzt.
Dringend braucht sie einen Schlafplatz für sich und ihre Tochter Sofia.

Irina hat großes Glück, an diesem Abend ist noch einer der viel zu gering vorhandenen Akutplätze im Mutter-Kind-Haus frei. Als Irina und die 4-jährige Sofia im Haus ankommen, ist es schon sehr spät. Beide sind erschöpft, die Kleine wirkt so als würde sie jeden Moment einschlafen.

Alles was die Familie besitzt, hat sie bei sich. Ein wenig Kleidung, keinerlei Hausrat, in Summe ein kleiner, nicht sonderlich gefüllter Rucksack und ein kleiner Stoffhase, an welchen sich Sofia klammert.

Irina wirkt verschwiegen und weicht den Fragen über ihre Geschichte aus, es scheint als habe ihr das bisher Erlebte, einen Großteil des Vertrauens in die Menschen genommen.

Da die Familie mit den Kräften am Ende ist, halten wir das Aufnahmegespräch kurz.

Eine Frage bleibt Irina allerdings nicht erspart: „Wen sollen wir im Notfall anrufen, wenn Ihnen etwas passiert oder sie ins Krankenhaus müssen – wer kann dann auf Sofia aufpassen?“

Stille…

Diese Frage bei Neueinzügen zu stellen, ist mitunter einer der herausforderndsten Momente unserer Arbeit. Deswegen, weil wir die Antwort in 90 Prozent der Fälle bereits kennen. 

„Ich habe niemanden“

So, wie Irina geht es vielen Bewohnerinnen eines Mutter-Kind-Hauses. Sie fallen sprichwörtlich ohne Netz, nämlich ohne jegliches soziale Netz.

In diesen Augenblicken wird einem immer wieder bewusst, unter welchem Druck diese tapferen Frauen stehen. Wissend, dass ihr Kind in ein Krisenzentrum oder in eine Krisenpflegefamilie muss, wenn ihnen etwas passiert, sie nicht in der Lage sind den Alltag zu bewältigen, nicht mehr zu funktionieren… Wissend, dass es niemanden gibt, der im Notfall für einen da ist… Keinen Opa, keine Oma, keine Schwester und auch keine Freundin… Ständig das Gefühl: Ich kann nicht mehr – ich muss!

Es stellte sich später heraus, dass Irina bereits in ihrer eigenen Familie Gewalt erleben musste. Der Kontakt zu ihren Geschwistern brach ab, als Irina 17 Jahre alt war. Ihr ganzes bisheriges Leben war sie von Armut betroffen. Sie lebte zwischen ihren Beziehungen mit Männern, welche immer nur das „Beste“ für sie wollten, für mehrere Monate auf der Straße, sogar mit Sofia schlief sie zwei Nächte im Keller eines Wohnhauses, bevor sie endlich zu uns kam und erstmals eine Tür zu einem Zimmer für sich und ihre Tochter hatte, welche sie absperren konnte.

Mukis begleiten wohnungslose Mütter in ein selbstbestimmtes Leben - das tut auch den Kindern gut! |

Genau in solchen Situationen bieten die Mukis der Caritas Hilfe und Unterstützung. Verteilt auf drei Häuser gibt es aktuell 63 Wohnplätze für wohnungslose Frauen mit Kindern sowie 20 Wohnplätze welche von den Mukis mobil betreut werden. Bewohnerinnen und ihre Kinder können bis zu zwei Jahre in den Mukis wohnen, sie werden jeweils von einem zweiköpfigen Bezugsbetreuer*innen-Team begleitet. Ziel ist es, die Mütter und ihre Kinder beim Aufbau eines selbstbestimmten Lebens zu begleiten.
Karin Eichler, Leiterin eines Muki, hat folgende persönliche Definitionen für eine erfolgreich abgeschlossene Betreuung: „Eigentlich sind es zwei Stufen. Die erste Stufe ist, dass die Nachfolge-Unterbringung nicht prekärer ist, als vor dem Muki und die Frauen einen ordentlichen Mietvertrag und ein geregeltes Einkommen haben. Aber eine viel bessere Bestätigung für den Erfolg unserer Arbeit ist, wenn uns Mütter nach längerer Zeit besuchen und immer noch ihre Wohnung haben und die Kinder weiterhin gut versorgt werden konnten.“

Krisensituation rund um das Coronavirus

Viele der Bewohnerinnen schaffen es dank der geschützten Atmosphäre eines Mutter-Kind-Hauses hier erstmals echte Fortschritte in Richtung eines selbstbestimmten Lebens zu setzen und sich innerhalb der Zeit im Muki ein eigenes stabiles Netzwerk aufzubauen. Doch dieser Aufbau benötigt Zeit, manchmal sehr viel Zeit. Außerdem braucht er viel Kraft. Kraft, die einem insbesondere zu Zeiten, in denen ein ansteckendes neues Virus über Länder und Kontinente hinwegzieht, leicht ausgeht. Die kleinen und auch großen Erfolge, die die Bewohnerinnen so bereits selbständig erzielen konnten, drohen wieder zu zerbrechen.

Die aktuelle Krisensituation rund um das Corona-Virus setzt den Müttern und Kindern in den Häusern stark zu. Viele haben Angst um ihre Arbeit oder wurden bereits gekündigt. Die meisten sind ohnehin psychisch stark belastet. Das zusätzliche Eingesperrt-Sein in den Wohnungen und die Sorge, es ganz alleine mit den Kindern nicht zu schaffen, das zermürbt einfach. Wer selbst Kinder zu Hause hat, weiß, dass es nur eine Frage von Tagen ist, bis einer Familie die Decke auf den Kopf fällt.

„Große Herausforderungen fördert auch das e-Learning zu Tage. Wir haben normalerweise zahlreiche Ehrenamtliche, die die Kinder in unseren Häusern beim Lernen unterstützen. Nachdem aber viele von ihnen zur aktuellen Risikogruppe gehören und Sozialkontakte derzeit vermieden werden müssen, dürfen und können sie nicht mehr in die Häuser kommen. Außerdem fehlt den Familien als auch vielen Ehrenamtlichen das technische Equipment – für Videochats und ähnliches“, schildert Karin Eichler die aktuellen Herausforderungen in den Häusern.

Daher sind die Teams in den Mutter-Kind-Häusern nun um ein Vielfaches mehr gefordert, als zu Zeiten außerhalb einer Krise. Möglichst viel Struktur zu bieten und Familiensysteme dabei zu unterstützen, weiterhin zu funktionieren, das ist mit einem Mindestabstand von einem Meter oder über Videotelefonie nicht einfach. Trotzdem ist es unverzichtbar, denn nur geregelte Struktur gibt den Bewohnerinnen Sicherheit, um ihren Alltag bewältigen zu können. Sei es die Hausaufgabenhilfe für die Kinder, Entlastungsgespräche für die Mütter, ein Bastelwettbewerb, finanzielle Überbrückungshilfen, die Versorgung mit den dringendsten Lebensmitteln, Beschäftigungsmaterialien und vielem mehr…

„Ich bin systemrelevant“

Auf die Frage, was sie in dieser herausfordernden Situation besonders stolz macht, muss Karin Eichler nicht lange überlegen: „Besonders stolz machen mich die Frauen in den Häusern in dieser prekären Lage. Ich bewundere, wie gut es trotzdem rennt und wie gut die Frauen mittun. Man sieht auch, wie sehr sie die Hausgemeinschaft schätzen. Dass sie sich als Teil der Gemeinschaft sehen und sich viel Mühe geben, damit alle gesund und sicher bleiben. Und natürlich bin ich stolz auf alle unsere Sozialarbeiter*innen, Sozialpädagog*innen und Betreuer*innen! 

Muki-Leiterin Karin Eichler ist stolz auf ihre Mitarbeiter*innen und die großen und kleinen Bewohner*innen der Mukis. |

Denn es ist nicht selbstverständlich, sich jeden Tag für andere Menschen in Gefahr zu begeben. Obwohl wir natürlich sehr darauf schauen, unsere Mitarbeiter*innen vor Ort zu schützen. Gemeinsam gehen wir mit unseren Bewohnerinnen und ihren Kindern durch die Krise und begleiten sie in dieser schweren und ungewissen Zeit!

Woher die Mitarbeiter*innen der Mukis die Kraft nehmen, die sie den Frauen und ihren Kindern weitergeben? 
„Persönlich habe ich das Gefühl, dass es richtig ist, was ich tue. Das Schöne an der Arbeit im Sozialbereich ist, dass man ganz viel machen und probieren kann, um Fortschritte für seine Klient*innen zu erzielen. Und ich habe das Gefühl, dass es jeder unserer Klientinnen nach einem Aufenthalt im Muki besser ging. Selbst wenn unsere Maßnahmen tatsächlich nicht greifen, dann geben wir einem Kind zumindest für bis zu zwei Jahre einen sicheren Rahmen. Ich finde, das ist jede Stunde meiner Arbeit wert, dass Kinder bei uns einfach die Chance haben, Kind zu sein.“

Muki-Häuser: Helfen wir Müttern und Kindern in der Corona-Krise

 
Spendensammeln ist für die Mukis immer ein Thema und sie freuen sich vor allem über Sachspenden. In dieser herausfordernden Situation brauchen die Mukis aber auch Unterstützung für
  • Finanzielle Überbrückungshilfen
  • Lebensmittel und Hygieneartikel
  • Beschäftigungsmaterial für die Kinder
  • Equipment für E-Learning

Wir helfen und finanzieren Müttern und ihren Kindern das Notwendigste, um sie durch die momentane Krise zu bringen.

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