Demokratie & Bürgerrechte

Österreich, wie hältst du’s mit der Pressefreiheit?

In Österreich haben Meinungs- und Pressefreiheit – wie in den meisten entwickelten Demokratien – einen hohen Stellwert. Allerdings kommt der stetige Abstieg Österreichs im Ranking von Reporter ohne Grenzen nicht von ungefähr. Denn Vorkommnisse, die als Angriffe auf die Pressfreiheit zu werten sind, haben auch in Österreich den letzten Jahren zugenommen. Insbesondere den Politikern der FPÖ scheint die freie, unabhängige Presse ein Dorn im Auge. Sie fielen und fallen nämlich immer wieder durch öffentliche Diffamierungen von Journalist*innen auf. Auch die Kommunikation in der gegenwärtigen Krise trägt dazu bei, dass Journalist*innen und Medien ihre kritische Distanz zur österreichischen Bundesregierung einbüßen. derdiedasRespekt.at hat daher die Frage gestellt, wie unsere Kolleg*innen von anderen Online-Medien die Pressfreiheit in Österreich einschätzen, welchen Zugang sie zu Informationen haben und ob sie aufgrund der Corona-Krise (weitere) Einschränkungen ihrer Arbeit bemerken. Dabei wird deutlich, dass trotz vergleichsweise großer Freiheiten, auch in Österreich Mechanismen am Werk sind, um Journalist*innen in ihrer Berufsausübung einzuschränken.

Einschränkung der journalistischen Freiheit erleben wir hierzulande durch ökonomische Abhängigkeiten.

Wirtschaftliche Abhängigkeiten und fehlende Auskunftspflichten

In Hinblick auf die Einschätzungen zur Pressefreiheit wird deutlich, dass in Österreich Drohungen, Einschüchterungen oder Gewalt gegen Journalist*innen – zwar zum Glück – nicht „üblich“ sind, jedoch wird versucht über versteckte Mechanismen und Hebel Druck auf die unabhängige Presse und Medien auszuüben: „Einschränkung der journalistischen Freiheit erleben wir hierzulande eher durch ökonomische Abhängigkeiten. Sei es von Seiten der Besitzer/Herausgeber oder von Seiten der Inserenten/Kunden. Natürlich kommt verstärkend hinzu, dass die größten Inseraten-Kunden große Unternehmen und Konzerne sind, deren Interessen politisch von der ÖVP vertreten werden. Somit kann die ÖVP auch politischen Druck über die Wirtschaftsvertreter ausüben.“
Dass dieser Druck somit „systemimmanent“ ist, beschreiben kontrast.at-Chefredakteur*innen Patricia Huber und Gerald Demmel zur politischen Einflussnahme über Besitzverhältnisse. Auch Tom Schaffer, Chefredakteur von moment.at teilt diese Einschätzung: „Einschränkungen ergeben sich aus den wirtschaftlichen Abhängigkeiten und Besitzverhältnissen großer Medien und daraus folgenden Interventionen aus Parteien, Politik und Wirtschaft.“ Jedoch führt er auch die katastrophal ausgeprägten Auskunftspflichten von öffentlichen Institutionen als Hemmschuh für journalistische Arbeit an: „Informationsfreiheitsgesetze sind ein wichtiger Bestandteil von Pressefreiheit und die Lage ist hier in Österreich einer modernen Demokratie einfach unwürdig.“

Ein Befund, den auch die Redaktion von Addendum teilt, die speziell das österreichische Amtsgeheimnis bemängelt: „Während die Freiheit der Berichterstattung nicht eingeschränkt ist, hat man in Österreich mit dem Amtsgeheimnis ein Vehikel für die „Zensur an der Quelle“ geschaffen. Es gibt weit gefasste Geheimhaltebestimmungen, die auch gerne sehr genau eingehalten werden, statt diese – wie im EGMR vorgeschrieben – mit dem Interesse der Öffentlichkeit abzuwägen.“

Dieser Umstand zeige sich auch anhand des Managements der aktuellen Corona-Krise ganz deutlich: „Obwohl die aktuelle Regierung die Schaffung eines Informationsfreiheitsgesetzes im Regierungsprogramm hat, ist die gelebte Praxis bisher intransparent – beispielsweise werden essenzielle Informationen zur Verbreitung des Coronavirus auf lokaler Ebene, der Vorbereitung der Behörden, der Tätigkeit der Beraterstäbe weiterhin geheim gehalten oder es wurde versucht, diese geheim zu halten.“ Damit erschwert das Amtsgeheimnis eine neutrale Überprüfung und Bewertung des Handelns der Regierenden und widerspricht den Grundsätzen der Informationsfreiheit.

Online-Redaktionen gehen oft neue journalistische Wege |

„Pressekonferenzen sind nicht der Ort den Mächtigen auf die Finger zu klopfen“

Journalistisch gehen viele Online-Medien daher einen anderen Weg, als die klassischen Mainstream Medien. Unsere Kolleg*innen und wir von derdiedasrespekt.at beschaffen unsere Informationen üblicherweise nicht auf Pressekonferenzen oder greifen auf Aussendungen der APA zurück, sondern betreiben klassisch eigene Recherche. Somit haben die meisten Vertreter*innen von Online-Medien – im Unterschied zur Auslandspresse – kein massives Problem damit, nicht eingeladen zu werden, wenn die österreichische Bundesregierung Hof hält.

Moment.at versteht sich grundsätzlich als Perspektive derer, die es sich nicht selbst richten können: „Wir verzeichnen als junges Medium großen Zuwachs an Leser*innen und erhalten von ihnen überwältigendes Feedback“, beschreibt Tom Schaffer den Erfolg des Konzeptes mit den Betroffenen von politischen Entscheidungen über ihre Situation zu sprechen und damit Expert*innen des Alltags eine Bühne zu bieten und sie zu Wort kommen zu lassen.

Kontrast.at recherchiert ebenfalls bei Betroffenen und Expert*innen für verschiedenste Fachbereiche: „Wir holen unsere Informationen meist bei Expert*innen ein: Im Parlament, auf den Unis, in Think Tanks – wir legen da natürlich besonders viel Wert auf die Expertise der Arbeitnehmer*innenvertreter, weil uns bei allen Themen immer vor allem die Frage interessiert: Wie wirken sich bestimmte Beschlüsse und Entwicklungen auf die Beschäftigten und die Arbeitslosen aus? Was bedeutet das für die soziale Ungleichheit? Was für den Sozialstaat und den öffentlichen Sektor? Wir reden aber auch viel mit Politik-Betroffene selbst: Mit Pflegerinnen, mit prekär Beschäftigten, mit Eltern behinderter Kinder, mit Arbeitslosen, mit Bauarbeitern, mit kleinen Wirtschaftstreibenden.“

Neben den bereits erwähnten Quellen setzt zackzack.at auf Recherche bei verschiedensten Medien und Nachrichtenagenturen weltweit. Darüber hinaus ist für zackzack.at, als vorwiegend über Politik berichtendes Magazin, die parlamentarische Arbeit (Anfragen, Beantwortungen, Beschlüsse, etc.) eine zentrale Informationsquelle.

Diese vielfältige Arbeitsweise verhilft zu differenzierten, „echten“ Geschichten, die nicht von irgendwelchen Message-Controller*innen vorfabriziert werden um Aufmerksamkeit zu generieren. Dennoch: Anfragen an offizielle Stellen werden Redaktionen grundsätzlich beantwortet, auch wenn diese Antworten selten höchste Priorität für die Pressestellen hätten.

Klar ist aber, dass die Angriffe auf die Pressefreiheit erst begonnen haben.

Das Vermächtnis von COVID-19

Grundsätzlich stimmen Patricia Huber, Gerald Demmel, Tom Schaffer und die Redaktion von Addendum in ihrer Einschätzung überein, dass Medien in bzw. nach der Corona-Krise wirtschaftlich schwer unter Druck kommen werden, was eine weitere Steigerung der Abhängigkeit von öffentlichen und politischen Inseraten der Medienhäusern bedingen könnte. Denn auch paid-Content Modelle sind keine Win-Win-Lösung. Kontrast.at gibt zu bedenken, dass solche Modelle vor allem an ein kaufkräftiges Publikum abzielen und nicht auf die Allgemeinheit, die ein Recht auf Information hat. „Wirtschaftlicher Druck auf Redaktionen bedeutet immer auch eine Gefährdung der journalistischen Vielfalt und schmälert die Ressourcen für kritische und langwierige Recherchen. Gerade das sind aber Grundlagen für das praktische Ausüben der Pressefreiheit“, gibt die Addendum-Redaktion zu bedenken.
Auf ein weiteres Risiko für die Pressefreiheit macht Tom Schaffer aufmerksam: „Ebenso muss man bei allem Verständnis kritisch betrachten, inwiefern und in welcher Weise Kontakt-Tracing Apps eingesetzt und vielleicht sogar verpflichtend werden. Für JournalistInnen ist das, z.B. beim Treffen von kritischen Quellen, natürlich ein heikler Punkt. Vorstöße wie die Vorratsdatenspeicherung, der Bundestrojaner oder Ideen verschlüsselte Kommunikation zu unterbinden haben hier in den letzten Jahren bereits den Druck erhöht, daher muss man hier unbedingt wachsam bleiben!“

Zackzack.at wiederum fürchtet, dass die Pressefreiheit viel bedrohter ist, als viele Beobachter*innen derzeit zu glauben wagen: „Wir wissen nicht, wie die Welt nach Corona aussehen wird. Klar ist aber, dass die Angriffe auf die Pressefreiheit erst begonnen haben – weltweit versuchen autokratische Regime, die Pandemie für ihre politischen Interessen zu instrumentalisieren.“

„Immer wachsam zu bleiben“ scheint uns insofern ein guter abschließender Tipp im Hinblick auf Pressefreiheit in Österreich zu sein. Zum Glück hilft uns das jährliche Reporter ohne Grenzen-Ranking dabei, einen Überblick zu bewahren. Es beweist aber auch, wie wichtig und unverzichtbar eine engagierte Zivilgesellschaft für die Bewahrung von Meinungs- und Pressefreiheit ist!

Weiterführende Links

Für diesen Artikel haben wir bei Moment.at, kontrast.at, zackzack.at und Addendum angefragt. Wir bedanken uns bei den Kolleg*innen ausdrücklich für ihre umfangreichen, lehrreichen Antworten und hoffen, wir können ihnen allen gerecht werden.

  • moment.at – das Medium des Thinktank der Vielen.
  • kontrast.at – das sozialdemokratische Magazin zu aktueller Politik
  • addendum.org – die Recherche-Plattform für das, was im Diskurs fehlt
  • zackzack.at – das unabhängige österreichische Nachrichtenmagazin

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