Demokratie & Bürgerrechte

Wahlkabine: „Parteien können bei uns kein Agenda-Setting betreiben“

1,2 Millionen Menschen. So viele haben vor der Nationalratswahl 2017 auf wahlkabine.at geklickt und vollständig geantwortet, um herauszufinden, welche Partei zu ihren politischen Vorstellungen passt. Seit 2002 ist das Onlinetool Hilfe und Orientierung für alle, die noch nicht wissen, wen sie wählen sollen – oder die einfach überprüfen wollen, ob ihre Wahl die Richtige war.

Wir haben mit Dorian Sauper, einem Redakteur der wahlkabine.at, über die Idee, die Umsetzung und auch die Schwierigkeiten gesprochen.

Es gibt wenige Menschen in Österreich, die wahlkabine.at nicht kennen oder schon genutzt haben. Wie ist denn die Idee dazu entstanden?

Die Trägerorganisation der Wahlkabine ist das Institut für neue Kulturtechnologien. Das ist seit Anfang der 90er in Bereichen der Informations- und Kommunikationstechnologien aktiv. Etwa zu Themen der kritischen Nutzung von Technologien. Hier ist immer das Ziel, einen demokratischen Zugang zu Wissen schaffen, fernab von Interessen und politischer Einflussnahme. Im Jahr 2002 gab anlässlich der Nationalratswahl den die Kooperation zwischen dem Institut und politikwissenschaftlichen Instituten. Da war eben die Idee, ein sogenanntes „Voting Indicator Tool“ auch in Österreich zu starten. Es gab zu der Zeit in Holland den „StemWijzer“ und in Deutschland den „Wahl-O-Mat“. Es war aber auch das Ziel über die Vorgänger hinauszugehen und eine systematischere und gründlichere Art und Weise eines solchen Tools zu schaffen.

Das heißt, wahlkabine.at unterscheidet sich schon von den genannten Beispielen?

Genau. Es war vor allem ein unabhängiger Versuch. Das holländische Modell etwa war lizensiert und kostenpflichtig. Das Ziel war eine simples und transparentes Tool zu schaffen. Und ich denke das ist gelungen. 2008 wurde die Wahlkabine schließlich auch als EU Best-Practice-Beispiel im Bereich der politischen Bildung ausgezeichnet.

„wahlkabine.at versteht sich als spielerisches Instrument politischer Bildung“, ist auf der Website zu lesen. Können Sie das näher ausführen?

Unser Ziel ist es, auf einfache, niederschwellige Art und Weise verschiedenste politische Themen aufzugreifen und den User*innen Informationen zur Verfügung zu stellen. Spielerische Elemente sind auch sehr wichtig. Die Online-Applikation ist einfach zu bedienen – durch Ja/Nein-Fragen, Gewichtungen. Da wir einen Fokus auf Erstwähler*innen setzen, ist das natürlich besonders zentral. Junge Menschen sollen einen spielerischen Zugang zu Politik bekommen. Zusätzlich produzieren wir auch Infomaterialen und Unterrichtsmaterialien, die auch sehr gerne angenommen werden.

In der Jugendstudie der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik wird fehlende Information als Hauptmotiv, nicht zur Wahl zu gehen, angeführt. Genau da wollen wir mit der Wahlkabine ansetzen.

Finden Sie, kommt politische Bildung in Österreich zu kurz?

Es kommt nicht von ungefähr, dass eine der häufigsten Fragen in der Wahlkabine ist: Sollte politische Bildung als Unterrichtsfach eingeführt werden? Ich glaube schon, dass da ein gewisses Defizit herrscht und ein geringes Angebot. In der Jugendstudie der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik wird fehlende Information als Hauptmotiv, nicht zur Wahl zu gehen, angeführt. Genau da wollen wir mit der Wahlkabine ansetzen. Und damit haben wir ein gewisses Alleinstellungsmerkmal, weil wir die Parteipositionen ganz klar darstellen, viel klarer als es etwa Medien können. Parteien können kein Agendasetting betreiben oder sich inszenieren. Durch unsere klaren Ja/Nein-Fragen müssen sie klar Stellung beziehen.

Was würden Sie jenen sagen, die noch zögern bzw. kein Interesse daran haben, wählen zu gehen?

Das Wichtigste ist, sich zu informieren. Es liegt wahrscheinlich auch zum Großteil an anderen Institutionen, Menschen zum Wählen zu bringen. Mit sachlicher klarer unabhängiger Information Hilfestellungen zu leisten und Fehlinformationen entgegenzusteuern – das ist dennoch immer wichtig. Ich würde jedem und jeder raten, auf die Wahlkabine zu schauen, durchzuspielen, und danach nicht nur die Seite zu schließen, sondern sich auch die Parteienstandpunkte anzuschauen. Und dann natürlich wählen zu gehen.

Wie konnte sich die Wahlkabine bisher finanzieren?

Grundsätzlich war die Finanzierung immer schon eine sehr schwierige Sache. Wie bei vielen solchen Projekten stecken vor allem viel Idealismus und jede Menge ehrenamtliche Tätigkeit dahinter. Wir haben natürlich immer wieder gewisse finanzielle Unterstützung bekommen, Sponsoring, Medienpartnerschaften und auch von öffentlichen Stellen. Diese öffentliche Unterstützung ist leider ausgefallen – aber es war ohnehin nie der überwiegende Teil der Finanzierung. Es war ebenso viel Eigenfinanzierung aus dem Institut dabei.

Das große Interesse an unserer Applikation – bei der Nationalratswahl etwa 1,2 Millionen User*innen – zeigt auch, dass unsere Arbeit demokratiepolitisch wichtig ist.

Weil Sie sagen, es steckt oft viel Idealismus und ehrenamtliche Tätigkeit dahinter. Was ist denn Ihre Motivation, weiter aktiv zu sein?

Das ist mein drittes Projekt. Ich sehe es – und da kann ich glaub ich für alle sprechen – als spannende und irrsinnig wichtige Tätigkeit. Weil wir eben, wie auf keiner anderen Plattform, so klar Parteipositionierungen feststellen können und wirklich Schwarz auf Weiß zu verschiedenen Themen stehen. Das motiviert uns alle. Das große Interesse an unserer Applikation – bei der Nationalratswahl etwa 1,2 Millionen User*innen – zeigt auch, dass unsere Arbeit demokratiepolitisch wichtig ist.

Zur Person:

Dorian Sauper BA, 26 Jahre alt, Student der Politikwissenschaft & Sozioökonomie, freier Mitarbeiter der wahlkabine.at zur Nationalratswahl 2019.

Seit 2002 wurden weit über 100 Millionen Einzelfragen bei Landtags-, EU- und Nationalratswahlen beantwortet, über 5 Millionen Mal wurde wahlkabine.at vollständig genutzt. Bei der Nationalratswahl 2017 alleine wurden 1,2 Millionen vollständige Nutzungsvorgänge und 30 Millionen Einzelfragenbeantwortungen verzeichnet. Auch dieses Jahr haben User*innen die Möglichkeit die wahlkabine.at im Vorfeld der Nationalratswahl 2019 zu nutzen. Quelle: wahlkabine.at

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