Crowdfunding

Ruanda: Heilpädagogik als Entwicklungshilfe?

Hallo Michael Mullan. Ich freue mich auf das Gespräch mit Ihnen. Möchten Sie sich zu Beginn kurz vorstellen?

Ja, natürlich. Ich heiße Michael Mullan und bin als Heilpädagoge tätig. Außerdem bin ich der Vereinsvorsitzende der Dorfgemeinschaft Breitenfurt.

Sie haben schon drei erfolgreich finanzierte Projekte bei uns auf der Plattform eingereicht. Alle Projekte fokussieren sich auf Heilpädagogik in Ruanda. Warum Heilpädagogik und warum Ruanda?

Ich habe über die Jahre hinweg sehr viele Erfahrungen im heilpädagogischen Bereich gesammelt. Aus diesem Grund bin ich von einer Einrichtung kontaktiert und gefragt worden, nach Ruanda zu kommen und dort Fortbildungen anzubieten. So ist der Konnex entstanden.

Als kurzen Hintergrund: In den 90er Jahren kam es in Ruanda zu einem fürchterlichen Bürgerkrieg und Völkermord. Die Geschichte einer der Mitbegründer führt auf diesen Bürgerkrieg zurück. Er hatte im Zuge eines Gräuelattentates beide Unterarme verloren, weil er sich weigerte zu töten. Damals war er 15 Jahre alt. Einige Zeit später traf er den Sozialarbeiter Zacharie, der ihn so angenommen hatte wie er war und diese beiden jungen Menschen gründeten ein Zentrum für Überlebende mit Behinderungen. So ist das Ubumwe Center Rwanda entstanden und heute werden dort 150 Kinder mit Behinderung betreut. Darüber hinaus setzt die Einrichtung auch einen Fokus auf Inklusion; also auch Kinder ohne Beeinträchtigungen werden dort betreut.

Ich wurde eben von diesem Center gefragt wie das mit anthroposophischer Heilpädagogik funktioniere. Die anthroposophische Heilpädagogik geht auf Rudolf Steiner, der auch die Grundlage für die Waldorfpädagogik begründet hat, zurück. Diese Pädagogik eignet sich sehr gut für Kinder mit Behinderungen, da viel Kunst und Bewegungen in Einsatz kommen. Nachdem ich das Center und die Mitarbeitende kennengelernt hatte, habe ich beschlossen die Fortbildungen abzuhalten.

Malen im Ubumwe Center

Während des fürchterlichen Völkermords in Ruanda standen sich Hutus und Tutsis gegenüber. Sind in dem Center beide Volksgruppen?

Es werden Kinder beider Volksgruppen in dem Center betreut. Die Regierung hat mit der Unterscheidung in den beiden Volksgruppen vollkommen aufgeräumt. Denn genau diese Unterscheidung zwischen Hutus und Tutsi hat den Genozid erst ermöglicht. Die Unterscheidung wurde damals aus machterhaltenden Gründen von den Belgiern während der Kolonialzeit eingeführt, die zu einer Trennung zwischen Hutus und Tutsis führte.

Wie managen Sie die Fortbildungen? Fliegen Sie immer nach Ruanda oder arbeiten Sie mit Partner*innen? Sind andere österreichische Organisationen vor Ort?

Im Grunde fliege ich des Öfteren für 14 Tage nach Ruanda und arbeite mit den Lehrenden vor Ort. Dort halte ich Vorträge und arbeite auch kreativ mit ihnen.
Außerdem habe ich auch eine Kollegin, eine Sozialarbeiterin, die ebenfalls hinfliegt und Fortbildungen abhält. Durch das Projekt sind wir aber auch weltweit mit anderen anthroposophisch arbeitenden Instituten vernetzt, beispielsweise in den USA, die ihren Beitrag leisten und das Center unterstützen.

Bekommen Sie für Ihre Arbeit im Ubumwe Center Förderungen aus Österreich?

Nein, wir bekommen keine Förderungen. Die Projekte werden durch die Crowdfunding-Kampagne über Respekt.net finanziert. Das deckt alle notwendigen Kosten ab und meine Kollegin und ich leisten die Arbeit in Ruanda ehrenamtlich.

Heilpädagogik ist nicht gerade etwas, das man in erster Linie mit Entwicklungshilfe/humanitärer Hilfe assoziiert. Welche Rolle spielt Heilpädagogik in der Entwicklungszusammenarbeit?

Gerade Kinder mit Behinderungen oder Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen sind auf Hilfe und Professionalität von außen angewiesen, da vor allem in der Sub-Sahara Region die notwendige Infrastruktur fehlt. Dort können nur die Wenigsten die Hilfe und Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Internationale Unterstützung kann helfen, um eben diese Infrastruktur aufzubauen, beziehungsweise notwenige Programme für Betroffene anzubieten.

Ich glaube ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass Beeinträchtigungen und Behinderungen teilweise auch Konsequenzen von Konflikten oder Mangelernährungen sein können und somit Heilpädagogik definitiv ein Aspekt der humanitären Hilfe darstellen kann.

Natürlich, ja. Das ist auch ein Aspekt.

Alle hoffen natürlich, dass im September der Normalbetrieb wieder aufgenommen werden kann und die Schule wieder geöffnet wird.

Können wir kurz auf das letzte Projekt von Ihnen auf Respekt.net eingehen? Es ging um „Unterstützung des Ubumwe Center Ruanda während der Covid 19-Krise“. Wie ist die Situation in Ruanda in Bezug auf die Covid-19 Krise?

Die Schule steht bis voraussichtlich September unter einem Lockdown. Das heißt, dass die Kinder zu Hause bleiben müssen. Die Lehrenden sind aber auf die Schulgelder angewiesen, um das Center über Wasser halten zu können. Dieses Einkommen ist jetzt vollkommen weggebrochen und auch die Lehrenden hatten dadurch keine Einkünfte mehr. Die Spenden, die wir lukrieren konnten, helfen, dass das Allernotwendigste weiterhin erhalten werden kann.

Außerdem gibt es Kinder, die ihre einzige Mahlzeit des Tages in der Schule bekommen und die gesammelten Spenden haben zum Teil auch den Kindern und Familien geholfen, die sonst kaum Einkünfte haben. Unsere Partnerorganisation aus den USA ist auch aktiv geworden und hat dem Center Gelder überwiesen.

Soweit ich mitbekommen habe, entwickelt sich die Lage in Bezug auf die Krise in Ruanda in eine wieder etwas entspannte Richtung. Wir müssen jedoch abwarten, wie sich die Situation weiterhin entwickeln wird.

Wissen Sie wie es den Kindern gerade geht?

Das Ubumwe hat ein Notprogramm entwickelt. Kinder, die dringend Heilpädagogik brauchen oder Familien, die auch anderweite Unterstützung brauchen, werden von den Lehrer*innen zu Hause besucht. Alle hoffen natürlich, dass im September der Normalbetrieb wieder aufgenommen werden kann und die Schule wieder geöffnet wird.

Zu meiner letzten Frage: Welchen Tipp, oder Nachricht, hätten Sie für vor allem junge Menschen, die im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit/-hilfe tätig werden wollen?

Ich lasse mich und habe mich in meiner Arbeit von meinem Herzen leiten lassen. Ich denke, dass junge Menschen, die Empathie entwickeln können und ihr Interesse für die Situation im globalen Süden wecken, gute Möglichkeiten haben einen wertvollen Beitrag zu leisten. Wichtig ist es natürlich, Interesse zu haben und Empathie zu entwickeln. Und daraus ergibt sich die Frage, wie man sich involvieren möchte. Wenn viele sich engagieren, dann macht das einen großen Unterschied.

Michael Mullan

Michael Mullan ist in Südirland an der Westküste geboren und aufgewachsen und ist später in Nordirland zur Schule gegangen. Er hat Nordirland während des Konfliktes im Jahr 1971 verlassen. Nach einigen Jahren in London, verschlug es Michael Mullan als Lehrer für Kinder mit Behinderungen nach Wien. Heute lebt er in Breitenfurt und hat eine Ausbildung als Heilpädagoge. Seit 20 Jahren ist der in der Dorfgemeinschaft Breitenfurt als Vereinsvorsitzender leitend tätig. In der Dorfgemeinschaft leben und arbeiten 95 Menschen mit Behinderung.

 

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