Gleichberechtigung & Frauenrechte

Sexueller Missbrauch bei der UN

All of this is utterly immoral, and completely at odds with our mission.1 2006 wandte sich der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan mit diesen harten Worten an die Vereinten Nationen (UN) in New York. „Äußerst unmoralisch“ – gemeint sind hiermit die Vorwürfe sexueller Missbräuche mit denen sich die UN Friedenstruppen zunehmend konfrontiert sahen.

When peacekeepers abuse local populations they undermine the principles that underpin their deployment. (2)

Vor etwa zwei Jahren machten die Geschichten von sogenannten „Peacekeeper Babies“ medial weltweit die Runde. Kinder, deren Väter Teil der UN Friedenstruppen sind und ihre Mütter während einer Friedensmission geschwängert und verlassen wurden. Das war vermutlich das erste Mal, dass Vorwürfe sexueller Ausbeutung und Missbräuche von UN Blauhelmen medial groß thematisiert wurden. Neu sind die Vorwürfe jedoch nicht; auch keine Ausnahmen. Schon 1996 wurde in einem Report des damaligen mozambikischen Bildungsminister Graça Machel veröffentlicht, dass UN Truppen während ihrer Stationierungen in Mozambik, Kambodscha und Bosnien und Herzegowina in Fälle sexuellen Missbrauchs, Menschenhandel und Prostitution verwickelt waren. Betroffen waren vor allem Frauen und Kinder. Seither ist bekannt, dass es in so gut wie allen Friedensmissionen der Vereinten Nationen zu solchen Vorfällen kam und kommt.

Wer sind die UN Friedenstruppen?

Die UN Friedenstruppen, oder auch UN Blauhelme genannt, sind Militäreinheiten, die seit 1948 für Friedensicherungsoperationen eingesetzt werden. Diese Friedensmissionen sollen Regionen, welche von Konflikten betroffen sind, auf ihrem Weg Richtung Frieden und Stabilität unterstützen. Die Sicherheit der Bevölkerung steht dabei an erster Stelle. Die Truppen sind vor Ort unter anderem auch für die Distribution von lebenswichtigen Gütern, wie Medizin und Nahrung verantwortlich und können auch diverse Rollen im Bereich der Sicherheit, wie zum Beispiel die der Polizei, übernehmen.

Top 10 Troop Contributors |

Die aus den unterschiedlichsten Ländern entsandten Truppen unterstehen alle denselben Regeln. Im Code of Conduct3 der UN Friedenstruppen lautet die vierte Verhaltensregel: Do not indulge in immoral acts of sexual, physical or psychological abuse or exploitation of the local population or United Nations staff, especially women and children.

Und doch kam es im Zuge fast jeder Friedensmission zu Vorwürfen sexuellen Missbrauch und Ausbeutungen (SAE). Studien zeigen, dass nach der Ankunft von Friedenstruppen Bordellbezirke, Sexhandel und HIV-Raten in den Regionen zunehmen. All dies bedeutet für eine vulnerable Bevölkerung mehr Instabilität und Gefahr und widerspricht somit dem Kernziel der Friedensmissionen.

Toxische Militärkultur als Grund?

Wie schon erwähnt, sind es die UN-Mitgliedsländer, die den Vereinten Nationen für diese Operationen Personal zur Verfügung stellen und es besteht in erster Linie aus Soldaten, die in ihren jeweiligen Ländern als solche ausgebildet und zum Einsatz gekommen sind. Die meisten Truppen entsendet hauptsächlich der Globale Süden; mit ein Grund hierfür ist, dass das durchschnittliche Gehalt als Blauhelm meistens über dem nationalen Gehalt eines Soldaten liegt. Ideelle Gründe an einer Friedensmission teilzunehmen sind oft nur zweitrangig.

Und eben diese Hypermaskulinität ist es, die vor allem für Frauen und Kinder eine Bedrohung darstellen können.

Oben genanntes hat zur Folge, dass die Soldaten, die an den Friedensmissionen teilnehmen, Teil einer Militärkultur sind, die üblich für nationale Militärs sind. Eben diese Militärkultur stellt ein Problem dar, wenn diese auch während den Missionen gelebt wird. Diverse feministische Theorien kritisieren, dass das Militär auf patriarchalen und heteronormativen Werten basiert und diese reproduziert. Vereinfacht gesagt, wird von Soldaten erwartet, dass sie hypermaskulin sind, bereit sind zu töten und die „Schwachen“ zu beschützen. Dies impliziert eine klare Hierarchie und Rollenzuschreibung der Geschlechter. Und eben diese Hypermaskulinität ist es, die vor allem für Frauen und Kinder eine Bedrohung darstellen können.

Die UN Blauhelme bestehen zum Großteil aus Männern. Trotz des Gender Mainstreamings in den Programmen der Vereinten Nationen machten Frauen in Uniform im Jahr 2019 nur etwa 4,7 % der Friedenstruppen aus. Mittlerweise beträgt der Gesamtanteil der Frauen (mit und ohne Uniform) bei den Friedensmissionen hingegen schon 22%. Das liegt zum einen daran, dass die Vereinten Nationen ungern Frauen in Risikogebieten stationieren und zum anderen, weil die meisten nationalen Militärs aus Männern bestehen. Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass weniger Frauen von den Mitgliedsländern für solche Missionen entsandt werden können. Der nur geringe Anteil an Frauen in solchen Einsätzen hat jedoch weitreichende Konsequenzen, da dadurch die Militärkultur, die von Hypermaskulinität geprägt ist, nicht angefochten werden kann. Außerdem bedeutet die Abwesenheit von Frauen, dass Betroffene sexuellen Missbrauchs sich gehemmter fühlen, diese Vorfälle auch zu melden.

Frauen und Kinder werden in ihrer Vulnerabilität ausgenutzt

Die Bevölkerung in einem Post-Konflikt-Land ist besonders vulnerabel. Nicht nur die Folgen des Konfliktes sind weiterhin bestehend, sondern auch neue Herausforderungen, wie zum Beispiel ökonomische und gesundheitliche, kommen hinzu. Frauen und Kinder sind zudem auch noch weiteren Gefahren, allen voran sexueller Gewalt, ausgesetzt. Darüber hinaus stellen survival sex (dt. Überlebenssex) oder andere Formen transaktionaler Beziehungen für einige Frauen, aber auch Kinder, die einzige Möglichkeit der Überlebenssicherung dar.

However, the peacekeepers did not give them the medicine immediately. Instead, six soldiers threatened these women with a gun, beat, and raped them. (4)

Dieser Umstand, als auch die Tatsache, dass die Beziehung zwischen den UN Blauhelmen und der Bevölkerung von einer tiefen Asymmetrie gezeichnet ist, versetzt Frauen und Kinder in eine besonders vulnerable Lage, in der sie leicht ausgebeutet werden können. Die Soldaten fühlen sich ihn ihrer Position der Bevölkerung „überlegen“. So werden beispielsweise Medikamente oder Lebensmittel, über die die Truppen aufsehen, gegen Sex ausgetauscht. Auch wenn dies unter einem „Einverständnis“ geschieht, macht die Vulnerabilität in dieser Situation den Akt komplett unmoralisch.

Weiters handeln die Soldaten mit einem Gefühl von Straffreiheit. Die meisten Fälle bleiben undokumentiert. Zwar haben Betroffene die Möglichkeit die Fälle direkt bei den Vereinten Nationen zu melden, jedoch passiert dies nur selten. Oftmals fürchten die Betroffenen Konsequenzen oder wissen gar nicht an wen sie sich wenden können. Werden Fälle doch dokumentiert kann es zu Disziplinarverfahren kommen und die Täter werden aus den Friedensmissionen entlassen. Die weitere Strafverfolgung der Täter liegt aber in den Händen der einzelnen Länder.

Es liegt an den Vereinten Nationen

Die Vorfälle sexuellen Missbrauchs während UN Missionen sind – anders als Kofi Annan behauptete – keine Einzelfälle, sondern ziehen sich durch beinahe alle Friedensoperationen der Vereinten Nationen hindurch. Diese Fälle schaden nicht nur der Glaubwürdigkeit der Organisation indem sie ihr eigenes Dekret, nämlich den Schutz der Bevölkerung zu gewährleisten verletzt, sondern haben auch immense Auswirkungen auf die betroffenen Frauen und Kinder.

Age of victim (by allegation) |

Fälle sexuellen Missbrauchs werden erst seit 2007 dokumentiert und erst vor zwei Jahren wurde eine sogenannte Null-Toleranz-Politik gegenüber solchen Fällen eingeführt. Die Null-Toleranz-Politik muss auch als solches durchgreifen: angefangen beim obersten Personal bis hin zur Infanterie.

Doch die Vereinten Nationen stehen trotzdem noch unter Kritik, da die Maßnahmen nicht ausreichend seien. Auch die fehlende Transparenz, wie die Fälle dokumentiert werden und wie mit ihnen verfahren wird, wird angeprangert. Möglichkeiten für Betroffene, die Fälle melden zu können, müssen ausgeweitet werden. Darüber hinaus reicht es nicht, dass die Fälle direkt bei den Vereinten Nationen gemeldet werden. Eine unabhängige Meldestelle könnte helfen, dass Betroffene keine Konsequenzen befürchten müssen. Außerdem liegt es bei den Vereinten Nationen und dem Department für Friedensoperationen den UN Blauhelmen ein angemessenes Training und Betreuung zukommen zu lassen. Soldaten, welche für den Krieg ausgebildet sind, in Friedensoperationen ohne substantielles Training einzusetzen, scheint nicht ausreichend zu sein.

Es wird deutlich, dass es sich bei den Vorfällen um ein weitreichendes und strukturelles Problem handelt, das nicht einfach durch die schon bestehenden Maßnahmen zu lösen ist. Damit die UN Friedenstruppen ihrer Verantwortung nachkommen und die Bevölkerung so zu schützen, wie sie es als ihre Aufgabe verstehen, braucht es eine komplette Reform der Einsätze.

Links und Quellen

1. https://www.un.org/press/en/2006/sgsm10776.doc.htm
2.Westendorf, J. & Searle, L., Sexual exploitation and abuse in peace operations: trends, policy responses and future directions, 2017
3. https://conduct.unmissions.org/ten-rulescode-personal-conduct-blue-helmets
4.
Shifa, M., Rape under Blue Helmets, 2019

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