Demokratie & Bürgerrechte

Wahlkampf-Kuriositäten zur Nationalratswahl 2019

Mit den Worten „Das Parlament hat bestimmt, das Volk wird entscheiden“ hat der alte und wohl neue Bundeskanzler Sebastian Kurz den inoffiziellen Wahlkampf zur Nationalratswahl 2019 eingeläutet. Wenige Stunden nach dem erfolgreichen Misstrauensantrag gegenüber dem Alt-Kanzler und der gesamten Regierung, trafen sich am Abend des 27. Mai 2019 hunderte türkise Gefolgsleute aus ganz Österreich in der Parteiakademie. Die Misstrauensparty war gleichsam auch der Startschuss für einen Wahlkampf mit halbherzigen Späßen und vollherzigen Spesen.

Von kleinen und großen Skandalen

Am Vormittag des 17. Juni luden Sebastian Kurz und ÖVP-Generalsekretär Karl Nehammer zu einer eilig einberufenen Pressekonferenz. Thema: Fälschungsskandal. Angeblich solle es Mails geben, die beweisen würden, dass Sebastian Kurz und Gernot Blümel noch vor Bekanntwerden des Ibiza-Videos von deren Existenz wussten. Alle Medienvertreter*innen zeigten sich verwundert, niemandem waren auch nur Gerüchte über diese angeblichen Mails bekannt. Die ÖVP bauschte dies zu einem großen Skandal auf und schritt den Fälschungsbeweis mit „forensischen Untersuchungen“ von „Screenshots“ einer ausgedruckten Mail an. Rund um das Wahlwochenende wurde bekannt, dass es sich offensichtlich wirklich um Fälschungen handelte.

Foto eines Screenshots einer E-Mail wurde forensisch untersucht. |
Credits: Deloitte

Dieser Fälschungsskandal verdrängte zumindest eine göttliche Segnung aus den Schlagzeilen. Am Wochenende zuvor war Sebastian Kurz zu Gast bei „Awakening Austria“ in der Wiener Stadthalle. Ben Fitzgerald, der „leidenschaftliche Liebhaber für Jesus“, sprach vor mehreren tausend Jüngern ein Segensgebet für Sebastian Kurz aus. Mit den Worten „God, we thank you so much for this man“ beginnt die Huldigung, die selbst Sebastian Kurz ein wenig peinlich gewesen sein dürfte.

Von einer doppelten Buchhaltung und einer vorsätzlichen Überschreitung der Wahlkampfkosten 2017 sowie 2019 berichtete der Falter Ende August. Interne Dokumente sollen belegen, dass die ÖVP stets mit Absicht geplant hatte, die Wahlkampfkosten zu überschreiten und der Falter konnte zeigen, welche Tricks die Türkisen anwendeten, um bestimmte Kostenpunkte nicht in die Wahlkampfkosten einzurechnen.
Die ÖVP konterte kurz danach als Betroffene eines Hackerangriffs. Eine enorme Anzahl an Daten soll von den Servern der ÖVP abgesaugt, verändert und weitergegeben worden sein. Die Nebelgranate zeigte Wirkung, der angebliche Buchhaltungs-Skandal war nun keiner mehr. Die ÖVP brachte Klage gegen den Falter ein.

Das Wissen um einen monatlichen Dauerauftrag über 49.000 Euro von der Milliardärin Heidi Horten an die ÖVP fand im August den Weg an die Öffentlichkeit. Die Stückelung ihrer Millionenspende musste somit nicht sofort an den Rechnungshof gemeldet werden.

Im Juli kam die Schredder-Affäre ans Tageslicht. Ein ÖVP-Mitarbeiter ließ kurz nach Veröffentlichung des Ibiza-Videos fünf Drucker-Festplatten aus dem Bundeskanzleramt bei einer externen Firma vernichten. Die Vorgehensweise, der ÖVP-Mitarbeiter hat den Auftrag mit falschem Namen aufgegeben und die Rechnung nicht bezahlt, machte stutzig. Die SOKO Ibiza nahm sich der Sache an, ein Zusammenhang zum Ibiza-Video ließ sich nicht feststellen. „Man kann ja kein Video ausdrucken“, so die liebevolle Erklärung von Seiten der ÖVP. Was auf diesen Festplatten gespeichert war? Das lässt sich im Festplattenstaub nicht mehr feststellen.

Videoaufnahme von der Schredder-Aktion |
Credits: Falter

Interessante Skandale machten auch vor der zweiten ehemaligen Regierungspartei nicht halt. Das Korruptions-Anbahnungs-Video auf Ibiza mit den Hauptdarstellern Johann Gudenus und Heinz-Christian Strache war der Auslöser für den Bruch der Regierung und den darauffolgenden Wahlkampf mit der bereits abgehaltenen Nationalratswahl.
Da schoss im Salzburger Flachgau ein FPÖ-Politiker aus Hass auf den Bundespräsidenten und ehemaligen Bundeskanzler von einem Balkon auf Büsche, Drogendealer sollen ihre Gefängniszelle mit der Zahnbürste putzen, Mischkulturen seien nicht vorteilhaft und ein Sympathisant der Identitären kandidierte für den Nationalrat.

In der letzten Wahlkampfwoche kam die vermeintliche Spesenaffäre von Heinz-Christian Strache ins Rollen, die der FPÖ wohl einige Prozentpunkte kostete. Strache erhielt einen monatlichen „Mietzuschuss“ und finanzierte einen Teil seines Privatlebens mit Geld aus der Parteikasse, so zumindest der Vorwurf. Ein ehemaliger Leibwächter machte die Sache publik, die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt.

Relativ Skandalfrei, zumindest im Osten Österreichs, ging der Wahlkampf der SPÖ über die Bühne. Einzig die mitunter sehr intransparenten Kosten von Wahlkampfveranstaltungen, organisiert von der SPÖ losgelösten Fraktion Sozialistischer Gewerkschaften, sorgten für brisante Fragen und unklare Antworten. „Alles korrekt und nicht am Rechnungshof vorbei“, so der Grundtenor aus der SPÖ, ein fahler Beigeschmack bleibt. Vor allem weil sie selbst Anfang Juli ein relativ zahnloses Parteienfinanzierungsgesetz in die Wege geleitet hat, das Kosten wie jene der oben erwähnten Veranstaltungen nicht einrechnet.

In ein Fettnäpfchen mit rechtlichem Nachspiel trat der Tiroler SPÖ-Obmann Georg Dornauer. Auf Twitter veröffentlichte er Ende Juli einen anonymen Brief, der jedoch auch an FPÖ und Neos in Tirol gerichtet wurde, in dem von außerordentlichen Spenden an die ÖVP die Rede sei. Der Schnellschuss brachte Dornauer eine Unterlassungsklage ein.

Ohne Skandale schafften es die Neos durch den offiziellen Wahlkampf. Weniger Skandal als Stirnrunzeln rief die 300.000 Euro Spende von Hans-Peter Haselsteiner an die Neos einen Tag vor Inkrafttreten der Spendendeckelung hervor.

Die Grünen schwammen auf der von Greta Thunberg losgetretenen Klimaschutzwelle gut mit und konnten nur als Gewinner aus dem Wahlkampf hervortreten. Selbst die vor der Wahl losgetretene mutmaßliche Spendenaffäre um den ehemaligen Grünen Gemeinderat Christoph Chorherr hatte offensichtlich keinen Einfluss auf das Wahlergebnis der Grünen.

Die Liste Jetzt erregte größtenteils Aufsehen dank ihrem Online-Medium zackzack.at und mit Karikaturen über politische Konkurrent*innen.

Künstlerische Freiheit? |
Credits: Screenshot zackzack.at

Sprachen und Herkunft

Einer, der unsere Sprache spricht. Mit diesem Slogan zog Jörg Haider im Jahr 1995 in den Wahlkampf. Und mit diesem Statement plakatierten auch Sebastian Kurz und Herbert Kickl. Gleichzeitig. Wer von wem abgekupfert hat, ließ sich nicht herausfinden. Beide aber zumindest von Jörg Haider.
Der Spitzenkandidat der KPÖ, Sprachwissenschaftler Ivo Hajnal, nahm sich diesem Slogan an und konterte mit einem Post auf Facebook: „Einer, der mehrere Sprachen spricht“. Nur wurde dieses Posting später wieder entfernt.

Meidling oder Waldviertel? Wo kommt Sebastian Kurz eigentlich her? Im Wahlkampf 2017 kam er aus Meidling, im heurigen Wahlkampf aus einem kleinen Ort im Waldviertel.

Wurzeln der anderen Art schlagen die Unterstützer*innen des ÖVP-Obmanns in St. Florian bei Linz. Hier musste ein Feld für überdimensionale Wahlwerbung in Grün herhalten.

Der Sozialdemokratische GemeindevertreterInnenverband hat im Wahlkampf nicht besonders Werbung für seine geografischen Kenntnisse gemacht. Die Lienzer Bürgermeisterin und Landtagsabgeordnete wurde auf einem Wahlkampfsujet mit einer Landkarte von Tirol abgedruckt. Bloß: Osttirol fand sich nicht auf dem Sujet.

...mein Tiroler Land |
Credits: SPÖ

Für Lacher im Rieder Festzelt sowie Aufregung außerhalb sorgte der Klubobmann August „Gust“ Wöginger von der ÖVP. Laut seiner Aussage „kann es ja nicht sein, dass unsere Kinder nach Wean fahren und als Greane zurückkommen“. Dank ihm haben wir jedoch einen Einblick in die Familie Wöginger erhalten: „Wer in unserem Hause schläft und isst, hat auch die Volkspartei zu wählen“. Na dann, Amen und Prost.

Videos für die Hölle

Social Media macht’s möglich. Kurze und längere Videos dominierten das Geschehen auf den Kanälen der Spitzenkandidat*innen. Die FPÖ legte sich mit ihrem Videoteam ordentlich ins Zeug und produzierte einige außergewöhnliche Wahlwerbespots. In einem Video sind Norbert Hofer und ein Kurz-Schauspieler bei einer Paartherapeutin zu sehen, in einem anderen Bewegtbild rückt Norbert Hofer das Antlitz von Sebastian Kurz wieder gerade. Zwei weitere Wahlspots geben Einblicke in die blaue Grün-Welt. In dem einen Machwerk macht sich eine blonde, junge Frau an Sebastian Kurz ran, im anderen Meisterstück wird vor dem Alltagsleben mit grüner Regierungsbeteiligung gewarnt: 50 Euro für einen Kanister Benzin, Joints auf Rezept, die Sprachpolizei verbietet das Zigeunerschnitzel, Bauarbeiter müssen türkisch lernen.

Die ÖVP sorgte zweierlei für Video-Aufregung. „Ganz normale Menschen“ outeten sich medienwirksam als Unterstützer*innen von Sebastian Kurz, nicht dazugesagt wurde ihre Zugehörigkeit zur Partei als Funktionäre.
Mehr Aufregung erregte jedoch das Huldigungsvideo der Schauspielerin Christiane Hörbiger inklusive Scheibenwischer für Pamela Rendi-Wagner. Erinnerungen an den Brief an Karl-Heinz Grasser wurden geweckt.
Wenn die ÖVP selbst keine Videos im Dienste der Inszenierung produzierte, musste sie sich mit eher peinlichen Ausschnitten der Wahlkampftour durch Österreich zufrieden geben. Die Frage, ob man bereits Mittag gegessen hätte, geistert seither durch die Social Media-Kanäle.

Sehr musikalisch wurde es vor allem bei der SPÖ. Der bei der Basis offenbar erfolgreiche Schlagersong „Gleich und verschieden“ von Alf & DJ Mike schaffte es sogar auf Platz 1 der österreichischen Schlagercharts. Zumindest erlangte die SPÖ auf diesem Weg eine Spitzenplatzierung.

Die Bierpartei schrieb indessen die Bundeshymne um. Ob sich eine tatsächliche Änderung der Hymne in „Land der Biaschtler“ zusammenbraut, ist noch unbekannt.

Reinhold Mitterlehner war Gast in einem Werbevideo der SPÖ. Als Burgherr empfing er im Mühlviertel eine rote Wandergruppe, eine Video-Mitschnitt landete in den Social Media-Kanälen. Mitterlehner habe davon aber nichts gewusst.

Typisch Österreichisch

Auch wenn aus dem Burgenland immer mit roten Querschüssen zu rechnen ist: Zumindest im Bügelwettbewerb hat Pamela Rendi-Wagner Burgenlands Parteichef Hans Peter Doskozil niedergebügelt.

Kärnten ist die letzte Bastion des BZÖ und trat ebendort zur Nationalratswahl an. Dies war jedoch intern nicht kommuniziert worden. So gab Anfang September der Stellvertreter des BZÖ-Parteichefs den Ausschluss des Parteichefs, des Generalsekretärs und dem Spitzenkandidaten für die Nationalratswahl bekannt. Der Parteichef kündigte wiederum den Ausschluss seines Stellvertreters an. Das BZÖ erhielt bei der Nationalratswahl 759 Stimmen.

Die Freiheitliche Jugend forderte in einem Facebook-Post eine „Schnitzelpflicht“ für Österreichs Kindergärten. Abgebildet wurde diese Forderung mit einem panierten Fischfilet. Ned Fisch, ned Fleisch!

Das Goldene Dachl in Innsbruck erstrahlte nächtens von 1. bis 9. September im türkisen Licht. Eigentlich sollte das Goldene Dachl nur für einen Abend lang beleuchtet werden, um auf eine besondere Erkrankung hinzuweisen. Polyzystisches Ovarsyndrom (PCOS) ist eine der häufigsten Stoffwechselstörungen geschlechtsreifer Frauen. Medienwirksam sollten weltweit am 1. September bekannte Sehenswürdigkeiten in der Kampagnenfarbe – in dem Fall Türkis – beleuchtet werden. Die zuständige Organisation hatte nach der erfolgreichen Anfrage an die Stadt Innsbruck vergessen, weitere Informationen zur Kampagne zukommen zu lassen. Im Zuständigkeitswirrwarr ging der eigentliche Zweck der Aktion unter. Auch hinterfragte die Stadt die türkise Beleuchtung offenbar nicht wirklich, von „internen Missverständnissen“ sei die Rede. Eigentlich keine Wahlkampfaktion, wusste das Team „Wir4Kurz“ diese dennoch auf Social Media zu nutzen.

#50ShadesofKurz entwickelte sich zu einem schwülstigen Hashtag auf Twitter und zielte auf den schnulzigen Schultext der offiziellen Biografie von Judith Grohmann zu Sebastian Kurz ab. Die mit inhaltlichen Fehlern von der ÖVP abgesegnete Biografie zählt mitunter zu den eher peinlichen Schriftstücken über Sebastian Kurz. Das Gespräch zwischen Sebastian Kurz und der Autorin dauerte laut eigener Aussage übrigens 35 Minuten. Die Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl hat auf derdiedasRespekt.at die Biografie gelesen und auch rezensiert.

Und sonst?

Wahrscheinlich haben wir die eine oder andere Kuriosität nicht am Radar. Sollte dem so sein: Der nächste Wahlkampf kommt bestimmt. Irgendwann, oder sogar früher.

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