Flucht & Zuwanderung

Wenn der Nebel sich lichtet

Wir befinden uns in Österreich in einer Situation, die ich mit der eines Wanderers im Gebirge vergleichen möchte, wenn plötzlich für einen Moment die Nebel aufreißen, die Sonne durchbricht und alles ganz klar erscheint.

Den Nebelwerfern der PR-Hundertschaft der Regierung Kurz wurde in Ibiza der Stecker gezogen. Sichtbar wird eine Gruppe korrumpierter Politiker_innen ohne Sachverstand, denen es gelungen war, ihr Spiel und ihre Regeln als die einzig möglichen, als die Norm, auszugeben. Die liberalen Medien haben diese Sicht der Dinge mitgetragen und unterfüttert, mit dem Hinweis auf die demokratische Legitimierung dieser Regierungskoalition. Gewundert haben wir uns nicht, was alles möglich ist, denn es ist mit Ansage passiert. Was uns gewundert hat, war die Leichtigkeit, mit der es Kurz, Kickl und Co. gelungen ist, die Grundwerte der europäischen Demokratie in Frage zu stellen. Es brauche nur „etwas Kreativität“ – so Herbert Kickl, als er noch Innenminister war – und alle machen mit. Ja, machen. Denn Kickl ist zwar weg, aber die Gesetze, die diese Regierung durchgesetzt hat, sind geblieben. Abschiebungen nach Afghanistan werden weiter durchgeführt, Menschen sterben in Schubhaft, Polizisten prügeln Demonstranten während einer gewaltfreien Blockadeaktion. Wir, die Zivilgesellschaft, dürfen uns keinen Illusionen hingeben, aber auch nicht darauf verzichten, jede Möglichkeit, die diese Übergangsregierung, die das „Spiel der freien Kräfte“ im Parlament bieten könnte, zu nutzen. Es besteht zurzeit die Möglichkeit, die Fehlentwicklungen der letzten Monate zu korrigieren. Daher fordert die asylkoordination das Parlament auf, das BBU-Einrichtungsgesetz zurückzunehmen. Ein Gesetz mit dem Österreich endgültig den Weg der Rechtsstaatlichkeit und internationaler Verpflichtungen verlassen hat.

Die asylkoordination kritisiert an diesem Gesetz vor allem die „Verstaatlichung“ der Rechtsberatung.

Es ist grotesk und eines Rechtsstaats unwürdig, wenn in einem solch sensiblen Bereich, in dem es um Leben oder Tod gehen kann, die selbe Behörde, die Entscheidungen trifft, die Einrichtung kontrolliert, die dagegen Beschwerde führen könnte. Das Gesetz war im Begutachtungsverfahren auf breite Ablehnung gestoßen und trotz massiver verfassungsrechtlicher Bedenken (u.a. des nunmehrigen Justizministers und Vizekanzlers Clemens Jabloner) von der türkis-blauen Mehrheit durchs Parlament gepeitscht worden. Die Forderung des NGO-Netzwerks kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem eine gewisse „diskursive Abrüstung“ festzustellen ist. Seit Kickl weg ist, besinnt sich Österreich wieder auf Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Verfassungstreue und Vertrauen. Flüchtlinge müssen nicht mehr als Sündenböcke für gesellschaftliche Fehlentwicklungen herhalten, man wendet sich wirklich existenziellen Fragen wie der Klimakrise zu. Keine neuen Gesetze, einfach nur die Einhaltung internationaler Menschenrechte braucht es für einen Abschiebungsstopp nach Afghanistan. Wir fordern die sofortige Einstellung von Abschiebungen und die Überprüfungen der Asyl-Entscheidungen, die auf Grundlage der Gutachten des Handelsreisenden Karl Mahringer getroffen worden sind. Die asylkoordination verweist in diesem Zusammenhang auf die jüngsten Stellungnahmen von UNHCR und die Erkenntnisse des Institute of Economics and Peace, laut dessen Global Peace Index 2019 Afghanistan das „unfriedlichste“ Land der Welt ist. Hier haben es die Behörden und letztendlich der Innenminister persönlich zu verantworten, wenn abgeschobene Flüchtlinge in Afghanistan getötet werden. Die letzten Monate haben die Vernetzung der Zivilgesellschaft vorangetrieben: Wichtige Kampagnen, Demonstrationen und andere Protestformen konnten sich etablieren. Jetzt gilt es, die so entstandene Dynamik zu nutzen. Wir von der asylkoordination werden uns in den nächsten Monaten im Rahmen einer neuen #SicherSein-Kampagne gegen die Black Box BBU (Bundesagentur für Betreuungsund Unterstützungsleistungen) engagieren und mit Dutzenden anderen NGOs für eine unabhängige Rechtsberatung für Asylwerber_innen kämpfen.

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