Soziales Engagement

Zu Fuß: Wenn Protest bewegt

Der frühere Wiener Bürgermeister Helmut Zilk würdigte im Jahr 1998 einen prominenten Wiener: „Eine Stadt, die sich nicht todernst nimmt, braucht solche Originale. Er war ein Botschafter des Guten und Schönen.“ Als Original gemeint war der Umwelt- und Friedensaktivist Ludwig Anton Weinberger, besser bekannt als Waluliso. In den 1970er und 1980er Jahren galt der begeisterte FKK-Anhänger als meistfotografierter Wiener, war zumeist am Stephansplatz oder am Naschmarkt anzutreffen. „Aus Heldenplätzen sollten Friedensplätze werden“, predigte Waluliso vor allem für den Frieden, wetterte gegen die Diktatur des Konsums und trat für ein naturnahes und umweltfreundliches Leben ein.

Waluliso in seinem Element. |
Credits: TARS631, commons.wikimedia.org

Protest fällt auf

Dem „Wickerl“ war klar, will er seine Botschaft kundtun, muss er auffallen. Das tat er. Bekleidet mit einer weißen Toga, am Kopf ein Kranz aus Ruscus-Blättern, in der einen Hand ein Hirtenstab, in der anderen ein Apfel, spazierte er in Sandalen durch die Wiener Innenstadt und verkündete seine Botschaften zu jeder Jahreszeit. Waluliso – der Name setzt sich zusammen aus den ersten beiden Buchstaben der Begriffe Wasser, Luft, Licht, Sonne – wurde als Spinner und Verrückter bezeichnet, aber auch als Friedensapostel und Wiener Original. Mit seinem jahrelangen Protest gegen Krieg und Umweltverschmutzung erlangte er nicht nur österreichweit Berühmtheit. In den letzten Jahren des Kalten Krieges spazierte er in seiner eigenwilligen Kleidung sogar über den Roten Platz in Moskau und wünschte den verdutzten sowjetischen Offizieren Frieden auf Erden.

Jugend ist die Zukunft

Waluliso brachte es auch zu musikalischen Ehren und war in seinen Aussagen offenbar der Zeit voraus. Gemeinsam mit der Musikgruppe Blümchenblau nahm er 1982 das Lied „Wir bauen ein Haus“ auf, in der ersten Textzeile wird gesprochen: „Die Jugend ist und bleibt und war immer unsere Zukunft. Und wir Alten sollten nicht immer wieder schimpfen und spotten über unsere Jugend.“
Waluliso baute sich selbst kein Haus. Als Dach über dem Kopf diente dem bescheidenen Mann eine 9m2-Wohnung im 5. Bezirk, er verstarb im Sommer 1996. Walulisos Protest fand zu Fuß gehend auf der Straße statt. Dort, wo der kommunikative Mensch in einfachster Weise in Gespräche mit anderen Menschen kommen konnte, dort, wo er seine Botschaft unter die Leute bringen konnte.

„Fix zam!“ über viele Kilometer hinweg

Der Heldenplatz – Waluliso würde Friedensplatz dazu sagen – ist auch heute noch Bestandteil vieler Demonstrationen und Demozüge, insbesondere der Klimastreiks von Fridays For Future, aber auch der Donnerstagsdemos. Als im Februar 2000 die Donnerstagsdemo erstmals durch Wien zog, um gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung zu protestieren, war dies nur ein Startimpuls eines umfangreichen Protests, der auch in den weiteren Monaten fortgesetzt wurde. Mit der neuerlichen Angelobung der ÖVP-FPÖ-Koalition 2017, kam die Protestbewegung von damals wiederbelebt auf die Straße, unter dem Motto: „Wir sind jetzt zusammen“. 

Selbst das innenpolitische Erdbeben im Vorjahr, ausgelöst durch das Ibiza-Video, tat den Donnerstagdemos keinen wirklichen Abbruch, wenn auch die Anzahl der Demos zurückging. Bei den dennoch vielen Demonstrationszügen gingen meist mehrere hundert Teilnehmer*innen durch verschiedene Wiener Stadtteile. Rund zwei Kilometer legte dabei im Schnitt jede*r Teilnehmer*in zurück. Bei 26 Demos im Jahr 2019 sind das rund 52 Kilometer pro Person. Wer also im vergangenen Jahr bei allen Demozügen dabei war, ging in Summe einmal vom nördlichsten Punkt Floridsdorfs nach Liesing, und auch wieder retour. Eine stolze Summe an Protestkilometern.

Kuschelig auf der Wiedner Hauptstraße. |

Protest erwandern

Dass Protest vielseitig ist, zeigt der vor einigen Jahren initiierte Wiener Protestwanderweg. Auch dank einem Crowdfunding-Projekt auf Respekt.net konnte der Weg mit Schautafeln und einer interaktiven Webseite umgesetzt werden. Der Erste Wiener Protestwanderweg ist ein Kooperationsprojekt von Zentrum polis – Politik Lernen und dem Schriftsteller Martin Auer. Der Weg führt zu Orten in Wien, die mit den Themen Protest, Widerstand, Solidarität und Zivilcourage in Verbindung gebracht werden, also zu Orten, die darauf hinweisen, dass viele unserer Rechte irgendwann einmal von jemandem erstritten worden sind. Beispielsweise zu Orten wie dem ersten Wiener Mädchengymnasium, der Rosa-Lila Villa oder auch dem WUK. Mit der Stopfenreuther Au befindet sich ein Ort außerhalb Wiens und behandelt die Au-Besetzung im Jahr 1984.

Fast alle Stationen des Protestwanderweges. |

Der Wiener Protestwanderweg kann alleine oder in der Gruppe erwandert werden und ist vor allem für die schulische wie außerschulische Bildungsarbeit geeignet. Das Projekt schafft eine Verbindung zwischen historischer und politischer Bildung. Ein Begleitheft ermöglicht passende Vor- und Nachbereitung im Unterricht, vorgeschlagene Übungen und weiterführende Informationen regen zu Überlegungen und Diskussionen an.

Protest bewegt

Menschen gehen für ihre Überzeugungen auf die Straße. Manche öfter, manche weniger. Der Protest in der Offline-Welt ist immer noch der, der echte Aufmerksamkeit erregt und etwas bewegen und verändern kann. Die Straße ist der Ort des Widerstands, des Protests, der Solidarität. So war es in der Vergangenheit, so wird es auch in Zukunft sein.

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