Flucht & Zuwanderung

Menschen verstecken Menschen – Österreich 2019

Ein Filter macht die Frau unkenntlich. Ihre Silhouette ist durch weiße Pixel gekennzeichnet, der Rest ist schwarz. Auch ihre Stimme ist verzerrt. Die Frau pocht auf ihre Anonymität, denn sie bricht gerade geltendes Recht. Sie erzählt, dass sie seit einigen Monaten illegal einen Menschen auf der Flucht versteckt. Sie ist noch nie zuvor mit dem Recht in Konflikt gekommen – bis heute. „Mir war klar, dass ich in dieser Situation aufstehen und helfen muss“, erklärt die Frau am anderen Ende. Sie lebt ein mittelständisches Leben, wurde katholisch erzogen. Sie hat gelernt: Wenn jemand in Not ist, hilft man. Die Person, die sie bei sich zu Hause versteckt, kommt aus Afghanistan und es droht ihr die Abschiebung in ihr Heimatland. Ihrer Einschätzung nach eine Notsituation.

Afghanistan: ein Land im Krieg

Die Frau am Telefon ist nicht die einzige in Österreich, die Menschen auf der Flucht bei sich versteckt. Doro Blancke arbeitet als Flüchtlingskoordinatorin. Sie wird oft anonym um Hilfe gebeten. „Mich kontaktieren Menschen aus allen Teilen der Gesellschaft, jedoch vor allem Frauen, weil die nach wie vor den größten Teil der ehrenamtlichen Flüchtlingsarbeit tragen“, erzählt Doro Blancke.

Insbesondere die Mängel bei den Asylverfahren führen dazu, dass Menschen Asylwerber*innen bei sich zu Hause verstecken. „Afghanistan ist ein Land im Krieg. Die Menschen, die sich seit Jahren um die jungen Asylwerber*innen gekümmert haben, können sich beim besten Willen nicht vorstellen, die jungen Leute einer Situation auszusetzen, die gar nicht so unwahrscheinlich mit dem Tod enden kann“, so Doro Blancke weiter.

Mir war klar, dass ich in dieser Situation aufstehen und helfen muss.

Nicht vorhandener Abschiebeschutz

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) fällt in erster Instanz die Asylentscheide. Über 45 Prozent der vom BFA gefällten Entscheide werden vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben. Nach einem negativen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts haben Asylwerber*innen die Möglichkeit, beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof Einspruch zu erheben. Den Asylwerber*innen wird jedoch erst nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs oder des Verwaltungsgerichtshofs eine aufschiebende Wirkung bis zur neuerlichen Beurteilung erteilt. Für die Asylwerber*innen besteht zwischen dem Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts und dem der Höchstgerichte kein Abschiebeschutz. „Die Personen können jederzeit von der Fremdenpolizei abgeholt und in Schubhaft gebracht werden, obwohl sie sich noch in einem laufenden Verfahren befinden. In Extremfällen ist es auch schon passiert, dass in dieser Zeit die Asylwerber*innen nach Afghanistan abgeschoben wurden“, berichtet Doro Blancke.  

Untragbare Situation

„Wenn Populismus, Fremdenfeindlichkeit und Abschottungspolitik zu einer Situation in Österreich führen, die an die schlimmste Zeit unserer Geschichte erinnern, dann ist es dringend nötig darüber zu reden“, zeigte sich Fayad Mulla bei einer Pressekonferenz zum Thema am 20.September überzeugt. Die aktuelle Rechtsgrundlage würde auf der einen Seite zu einem hohen Anstieg von autoaggressivem Verhalten bis hin zum Suizid bei Asylwerber*innen aus Afghanistan führen. Die Helfer*innen auf der anderen Seite seien ebenso extremen psychischen Belastungen ausgesetzt und tragen enorme Kosten. Die Situation sei für alle Beteiligten – sowohl für die Menschen aus Afghanistan als auch für das Umfeld – untragbar.

Es haben bereits einige Expert*innen des UN-Flüchtlingshochkommissariats sowie Friederike Stahlmann vom Max-Planck-Institut oder auch Afghanistan-Experte Thomas Ruttig vor Abschiebungen nach Afghanistan gewarnt. Auch alle österreichischen NGOs (wie Diakonie, Volkshilfe, Samariterbund, Asylkoordination, Fairness Asyl usw.) sprechen sich gegen Abschiebungen nach Afghanistan aus. Im Mai dieses Jahres rügte außerdem die UNO Österreich wegen der Verletzung von internationalen Menschenrechtsstandards im Asylbereich.

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