Crowdfunding

Schulplätze für Asylberechtigte in der Schüler*innenschule

Liebe Claudia, was ist denn eigentlich die Schüler*innenschule?

Wir sind eine Alternativschule, gegründet vor mehr als 40 Jahren von engagierten Eltern und Lehrer*innen, die etwas anderes wollten als die Regelschule. Wir sind weder eine Montessori-Schule oder Wild-Schule, sondern unser Konzept ist lebendig und verändert sich auch immer. Das Wichtigste: Wir verstehen uns als demokratische Schule; Kinder, Eltern und Lehrer*innen bestimmen sehr viele Dinge gemeinsam. Das pädagogische Konzept kommt von den Lehrer*innen, aber Unterrichtsinhalte, Regeln, Reisen oder Projekte bestimmen wir mit den Kindern gemeinsam. Den Rahmen bildet der Verein „Gemeinsam lernen“, wo alle Eltern und auch wir Mitglieder sind, sozusagen der Träger der Schule. Die Eltern sind im Schulalltag eingebunden und kochen beispielsweise in Arbeitsgruppen oder führen Unterrichtsangebote durch. Wir haben keine Noten, die Kinder sind mit uns per „Du“, Notenzeugnisse gibt es erst am Ende der Schulzeit für die weiterführenden Schulen.

Betreffen euch dann Reformen bei der Notengebung gar nicht?

Eigentlich nicht. Was sich mit Noten in Volksschulen abspielt, betrifft uns sowieso nicht, weil wir keine Volksschule sind. Wir haben ein eigenes Organisationsstatut, einen eigenen Lehrplan, haben aber Öffentlichkeitsrecht. Das heißt wir haben einen Differenzplan zum österreichischen Lehrplan und erfüllen von den Lehrinhalten all das, was eine Unterstufenschule in der Regel auch erfüllt. Aber wir können es machen wie wir wollen.

Seit 2015 engagiert sich die Schule für Asylwerber*innen, die zwar nicht mehr schulpflichtig sind, aber keinen Schulabschluss vorweisen können. Auf Respekt.net bittet ihr hierfür mit einem Crowdfunding-Projekt um finanzielle Unterstützung.

Richtig, wobei wir jetzt auch schon schulpflichtige Asylwerber*innen haben. Wir sind eine Privatschule, das werden sich Asylsuchende nicht leisten können. Begonnen hat die Initiative aber 2015 mit einer riesigen Notschlafstelle in der Schule, während der Ferien und auch noch während der ersten Schulwoche. Die Notschlafstelle ist dann übersiedelt in den Projektraum, wo ein weiteres Monat Menschen betreut wurden. Sie haben Essen bekommen, konnten sich duschen, haben frische Kleidung erhalten, alles getragen von freiwilligen Helfer*innen. Im Anschluss war uns klar, dass wir hier irgendwas tun müssen. Schulpflichtige Kinder sind relativ rasch untergebracht worden, vielleicht nicht immer ideal, aber immerhin. Die anderen sind zuhause gesessen, 15 oder 16-jährige Kids, die nichts zu tun hatten. Wir haben uns anfänglich an die Caritas gewandt. Begonnen hat es mit zwei syrischen und einem afghanischen Burschen. Mittlerweile spricht es sich irgendwie herum. Derzeit sind nur Mädels hier in der Schule.

Wie viele Asylberechtigte konnten bisher einen Schulabschluss machen?

Sechs Asylberechtigte haben bisher einen Schulabschluss geschafft. Der afghanische Bursch beispielsweise, der sich ganz alleine durchgeschlagen hat, der mitansehen musste wie sein Vater erschossen wurde, seine Mutter war schon tot, hat auch hier eine Familie gefunden, die ihn bei sich aufgenommen hat. Mittlerweile hat er eine eigene Wohnung, macht eine Lehre zum Rauchfangkehrer. Ein syrisches Mädchen hat bei uns den Abschluss gemacht und ist dann in die Handelsakademie gewechselt. Mit ihr lerne ich noch ab und zu Deutsch.

Ist der Schulabschluss also kein „persönlicher Abschluss“?

Sagen wir mal so: Für mich nicht. Ich versuche zu den meisten noch Kontakt zu halten, bis sie im Leben gut Fuß gefasst haben. Es ist eben mehr als nur schulische Betreuung. Das ist aber auch möglich, weil die Eltern mithelfen. Mir ist zumindest wichtig, dass die Jugendlichen weiterkommen. Egal ob das nun eine Lehrstelle ist oder eine weiterführende Schule.

Das Auseinanderdividieren, hier sind die Deutschförderklassen und hier die anderen, bringt auch nichts.

Wie sieht der Schulalltag für jugendliche Asylsuchende aus?

Ganz am Anfang, also 2015, wie natürlich Deutsch überhaupt nicht vorhanden war, haben unsere Eltern freiwillig mit den Kindern Deutsch gelernt. Zwei Mütter, die eigentlich nicht mehr bei uns in der Schule sind, lernen immer noch mit den Kindern. Jetzt ist es so, dass sie im normalen Unterricht mitlaufen und es eigene Deutsch-Lern-Stunden gibt.

Wie schätzt du die Lage in Österreich hinsichtlich Bildungsangebote für jugendliche Asylsuchende ein?

Es ist nicht ganz schlecht. Die intensive Zeit, in welcher viele Initiativen mit sehr viel ehrenamtlichen Engagement aus dem Boden geschossen sind, ist aber wieder vorbei. Es sind Gelder eingespart worden und beim Regierungswechsel auf Türkis-Blau war natürlich klar, dass das nichts Gutes bedeutet und es Einsparungen und Streichungen geben wird.

Was braucht es also? Mehr Geld oder noch anderes?

Mehr Geld auf jeden Fall. Und natürlich ein anderes Denken. Wenn aber Regierungsmitglieder, und das sind ja auch Vorbilder für die Gesellschaft, eher „Anti“ drauf sind, dann ist klar, dass sich das Klima in Österreich gewandelt hat. 2015 war ich selbst anfänglich überrascht von unserer Politik. Da war die Stimmung in der Bevölkerung auch eine Positive. Mittlerweile ist es umgeschlagen, weil uns die letzte Regierung wie ein Mantra erzählt hat, dass das böse Leute sind, die hierherkommen und kein Mensch überlegt sich, dass das ja Menschen sind, die vor einem Krieg flüchten und die Furchtbares erlebt haben. Sondern man unterstellt ihnen böse Absichten. Hier gehört viel Bewusstseinsarbeit gemacht.

Um das Denken in der Gesellschaft wieder ein anderes werden zu lassen.

Ja, aber nochmals zu den Schulen: Ich merke schon, wenn im Unterricht junge Asylsuchende einfach nur mitlaufen, dass das schwierig ist und sie extra Unterstützung brauchen. Aber das Auseinanderdividieren, hier sind die Deutschförderklassen und hier die anderen, bringt auch nichts. Wie sollen sie denn Kontakte zu anderen Kindern knüpfen?

Gibt es eigentlich auch die Möglichkeit die Schule kennenzulernen?

Konkret: Auf unserer Webseite gibt es eine Kontakt-E-Mail für interessierte Eltern und Schüler*innen. Dann gibt es ein Erstgespräch mit Lehrer*innen, Eltern und Kindern. Im Anschluss wird eine Schnupperwoche vereinbart. Wenn von allen Seiten die Schnupperwoche positiv befunden wird, ist man Teil der Schule. Und ganz allgemein gibt es am 19. März 2020 einen Tag der offenen Tür.

Dürfen eure Schüler*innen zu den Klimastreiks gehen?

Ja! Beim ersten Klimastreik habe ich gesagt: Da gehen wir jetzt hin! „Müss ma da hingehen?“, kam von den Kindern zurück. Seitdem gehen sie auch ohne mich.

Zur Person und zur Schüler*innenschule

Claudia Gerhartl ist das WUK-Urgestein und seit mehr als 20 Jahren im Haus. Sie unterrichtet Deutsch, Philosophie und Geschichte und ist außerdem Direktorin der Schüler*innenschule.

Die Schüler*innenschule wurde 1979 gegründet, beheimatet seit 1982 im WUK und ist somit neben der Freien Schule Hofmühlgasse und dem Schulkollektiv eine der ältesten demokratischen Alternativschulen Österreichs. Trotz ihrer „Außenseiter*innenstellung“ ist die Schüler*innenschule Vorbild für viele öffentliche und private Schulprojekte. Besonders in den vergangenen Jahren hat sich die Schule viel mit inneren Strukturen und modernden Entwicklungen beschäftigt und bestätigt sich dadurch als zeitgemäßes Projekt.

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