Demokratie & Bürgerrechte

„… und seid bei Ungerechtigkeit nicht leise!“

„Die Coronakrise bringt für viele Bereiche enorme wirtschaftliche Herausforderungen. So auch für österreichische Medien. Um die journalistische Arbeit zu ermöglichen und die Sicherung der Arbeitsplätze zu unterstützen, haben wir als Bundesregierung eine Sonderförderung geschaffen. Die Förderung dient dem Erhalt einer unabhängigen, pluralistischen und vielfältigen Medienlandschaft,“ so wird Sebastian Kurz in einer Presseaussendung des Bundespressedienstes zitiert, die anlässlich des Internationalen Tags der Pressefreiheit ausgeschickt wurde.

Qualität statt Quantität fördern

Doch tatsächlich sorgt die Medien-Sonderförderung für viel Kritik. Im Zentrum dieser steht die Entscheidung, dass sich die Förderung nicht an der Qualität der Medien, sondern an der Auflage orientiert. Nicht eine unabhängige, pluralistische und vielfältige Medienlandschaft würde dadurch gefördert, sondern viel mehr der Status Quo erhalten werden, ist sich Jaqueline Gam sicher. Gam ist Medienaktivistin, arbeitet im Organisationsteam vom Freien Radio ORANGE 94.0 und ist bei BAM!, dem Bündnis Alternativer Medien, aktiv.

Obwohl ORANGE 94.0 als Freies Radio im Topf für nichtkommerzielle Medien für die Sonderförderung einreichen kann und wird, kritisiert Gam die medienpolitische Umsetzung dieser Förderung. Dabei denkt sie auch an Ihre Kolleg*innen von BAM!, die dort aktiven Zeitschriften und Zeitungen wie die an.schläge, der Augustin oder die Frauen*solidarität fallen aus der Förderung raus. „Eine Förderung, die vermeintlich die Medienpluralität sichern soll, schwächt kritische und lokale Medien. Das ist insbesondere während einer Krise sehr bedenklich, wo geprüfte, sachlich aufbereitete Informationen so wichtig sind. Eine öffentliche Förderung an der Auflage zu orientieren ist in Österreich, einem Land mit sehr hoher Medienkonzentration, kontraproduktiv, wenn man wirklich Vielfalt im Medienbereich fördern möchte“, erklärt Gam.

So profitieren vor allem Boulevardmedien von der Corona-Sonderförderung. Das zeigen die bis dato bekannten Zahlen. Laut Berechnungen des STANDARDS geht der Großteil des für Tages- und Wochenzeitungen gedachten Betrags an drei Tageszeitungen: an die Kronen Zeitung, an Heute und an Österreich.

„Grundsätzlich ist die Gewerkschaft sehr dafür, dass es eine Sonderförderung gibt, weil die Medienbetriebe natürlich massiv von der Coronakrise betroffen sind“, beginnt Eike-Clemens Kullmann die Beantwortung der Frage, was er als Vorsitzender des Bereichs Journalist*innen in der GPA-djp von der Sonderförderung hält. So fallen Inserate weg, Abos brechen ein, der wirtschaftliche Druck auf Medien steigt, Kurzarbeit und Stellenabbau sind bereits jetzt sichtbare Auswirkungen. 

Gerade deswegen müsse sinnvoll entgegengesteuert werden. Kritik gibt es daher auch vonseiten der Gewerkschaft: Die Orientierung an der Auflage der Printmedien würde vor allem Gratiszeitungen bevorzugen. Schon lange plädiert die Gewerkschaft für eine Förderung, die Qualitätskriterien ins Zentrum stellt. Zum Beispiel: die Einhaltung aller gesetzlichen und kollektivvertraglichen Bestimmungen, die Anzahl der angestellten Redakteur*innen, der Umgang mit freien Journalist*innen, die nur selten nach den Mindesthonorarsätzen bezahlt werden oder eine verbindliche Mitgliedschaft beim Presserat, dem freiwilligen Selbstkontrollorgan der österreichischen Medienlandschaft.

Fehlende Medienvielfalt und Pressefreiheit

In den vergangenen Jahren ist die Presseförderung in Österreich jedoch immer weiter zurückgegangen. Indirekt beeinflusse das auch die Pressefreiheit, sagt Kullmann. In der Rangliste der Pressefreiheit ist Österreich heuer zum zweiten Mal in Folge nach hinten gerutscht. Die Gründe dafür sieht Kullmann zwar in der türkis-blauen Medienpolitik. Als Beispiele dafür nennt er den Ibiza-Skandal 2019 oder dass manche Medien nur eingeschränkten Zugang zu Informationen erhielten. Doch auch jetzt gilt es darauf zu achten, dass in Krisenzeiten dieser Trend nicht fortgeführt wird. In- und ausländische Medien unter dem Deckmantel der Corona-Beschränkungen aus Pressekonferenzen auszuschließen oder keine Fragen von Journalist*innen nach Pressekonferenzen zuzulassen, seien Alarmsignale. 

Und auch der schon genannte wirtschaftliche Druck auf manche Medien muss durch entsprechende Förderungen aufgefangen werden, damit die Medienvielfalt und so auch die Pressefreiheit in Österreich wieder gestärkt werden, so Kullmann: „Wir sind jetzt bei über acht Millionen Euro Presseförderung im Jahr. Das ist in den vergangenen Jahren weniger geworden. Es gab einmal eine Zeit, da waren Presse- und Parteienförderung auf einer Höhe. Mittlerweile ist die Schere massiv auseinandergegangen. Es müsste daher unbedingt eine Erhöhung der Presseförderung her. Auch das kann dazu beitragen, dass Pressefreiheit gesichert und gestärkt wird.“ 

Sowohl die Presseförderung als auch die Parteienförderung wurden 1975 in Österreich eingeführt. War die Presseförderung damals noch etwas höher als die Parteienförderung, hat sich das mittlerweile stark umgekehrt. Während die Gelder des Bundes für Parteien stetig zunehmen, werden die Gelder für Zeitungen weniger.

Damit es in Österreich tatsächlich eine „unabhängige, pluralistische und vielfältige Medienlandschaft“ gibt, braucht es also eine andere Förderungs- und Medienpolitik. Aber auch jede*r Einzelne von uns kann dazu beitragen, Medien zu unterstützen, die aus den Töpfen des Bundes keine oder nur wenig Förderung erhalten, so Jaqueline Gam abschließend: „Wer vielfältige und kritische Medien lesen, hören oder sehen möchte, muss die wenigen, die es gibt, aktiv unterstützen. Verschenkt ein an.schläge-Abo, teilt Artikel von skug und malmoe, unterstützt die Volksstimme, die Frauen*solidarität und den Augustin, hört Freie Radios wie Helsinki in Graz. Und beobachtet die Medienpolitik genau und seid bei Ungerechtigkeit nicht leise!“

Dazu gehören: AEP-Informationen – Feministische Zeitschrift für Politik und Gesellschaft, Augustin – Erste österreichische Boulevardzeitung, an.schläge – Das feministische Magazin, Bildpunkt – Zeitschrift der IG Bildende Kunst, Frauen*solidarität – feministisch-entwicklungspolitische Zeitschrift, MALMOE – Gute Seiten, Schlechte Zeiten, mosaik-blog.at – Politik neu zusammensetzen, Radio ORANGE 94.0 – das Freie Radio in Wien, skug.at – Ästhetik und Politik von unten, Unter Palmen – Argument Utopie, Von Unten – Das Nachrichtenmagazin auf Radio Helsinki, Volksstimme – Zwischenrufe links.

Kritik an der Corona-Sonderförderung gab es nicht nur von Orange 94.0, sondern beispielsweise auch vom Presseclub Concordia und Reporter ohne Grenzen.

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