Hans Kelsen hat vor 100 Jahren im Artikel 1 der Österreichischen Bundesverfassung die Volkssouveränität als Herzstück der neuen Republik formuliert:
„Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“
Aber, um die Mitbestimmung des Volkes ist es schlecht bestellt. Jüngstes Beispiel dafür ist die eben geschlagene Wiener Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahl. Bei aller berechtigten Freude darüber, dass Wien in Sachen Wohnen, Umweltstandards und sozialer Sicherheit internationales Vorzeigemodell bleiben wird, gibt es auch grundsätzliche Problemfelder, die dringend einer Veränderung bedürfen:
- Aktuell ist aufgrund des restriktiven österreichischen Staatsbürgerschaftsmodells bereits ein Drittel der Wiener*innen von lokaler politischer Mitbestimmung ausgeschlossen und
- von den zwei Drittel der wahlberechtigten Wiener*innen haben diesmal 34 Prozent nicht von ihrem demokratischen Recht Gebrauch gemacht.
Gründe dafür sind unter anderem: Die österreichische Innenpolitik war in den letzten Jahren geprägt von Korruptions- und Amtsmissbrauchsanbahnungen, das ist nicht gerade vertrauensstärkend. Die zunehmende transnationale Vernetzung von Wirtschaft und Medien hat auch die Komplexität politischer Tätigkeit insgesamt stark erhöht – lokale demokratische Beteiligungs- und Mitbestimmungsverfahren hinken diesen Entwicklungen aber deutlich nach. Und nicht zuletzt ist politische Teilhabe in Österreich auch heute noch immer eine Frage der sozialen Zugehörigkeit. Der Demokratie-Monitor 2019 zeigt eine tiefe soziale Kluft auf, die sich unter anderem darin ausdrückt, dass „sich das ökonomisch schwächste Drittel kaum mehr an politischen Gestaltungs- und Entscheidungsprozessen beteiligt.“
Warum wählen gehen?
Mein Kind hat mich am verregneten Wiener Wahlsonntag gefragt, warum wir wählen gehen. Ich habe ihr geantwortet, dass für dieses Recht viele Menschen gestorben sind und wir als Frauen überhaupt erst seit 100 Jahren wählen gehen „dürfen“, obwohl es die Demokratie seit knapp 2500 Jahren gibt. Erkämpfte Rechte müssen wir nutzen – auch dafür, mehr Rechte zu erkämpfen. – Luise Wernisch-Liebich –
Wie wollen wir in Zukunft unsere Politik gemeinsam gestalten?
Das Projekt Zukunftsrat Demokratie setzt dagegen einen aktiven Entwicklungsimpuls mitten ins Herz der Demokratie. Demokratie soll als öffentlicher Aus- und Verhandlungsprozess erlebbar werden, unterschiedliche Bürger*innen so gut wie möglich in die Problemfindung und die Bearbeitung (mit)eingebunden werden.
Respekt.net, die IG Demokratie und mehr demokratie! Österreich setzen mit dem Projekt Zukunftsrat Demokratie der Aushöhlung politischer Meinungsbildungs- und Entscheidungs-prozesse eine Kampagne entgegen, in der Demokratie aktiv aus der Zivilgesellschaft heraus weiterentwickelt wird. Ziel der Kampagne ist es, Bürger*innen und der Politik die effektiven Möglichkeiten demokratischer Mitbestimmung aktiv bewusst zu machen und so den öffentlichen Diskurs rund um die Notwendigkeit der Weiterentwicklung der Demokratie anzuregen und zu befruchten. Das Kernstück und zentrales Moment dazu ist ein Bürger*innen-Rat im Mai 2021.
Per Zufall/Los ausgewählte Bürger*innen erarbeiten in ausführlichen Beratungen konkrete Lösungsvorschläge zur Zukunft der Demokratie. Sie werden dabei von Moderator*innen und Expert*innen unterstützt. Das Ergebnis werden Ideen und Forderungen zur Reform bestehender politischer Prozesse sein. Der Bericht über den Zukunftsrat wird der Politik überreicht und wird gleichzeitig auch die grundlage für das weitere zivilgesellschaftliche Handeln sein.
Das Projekt Zukunftsrat ist also eine konkrete Lernerfahrung für die Republik Österreich: eine partizipative Bestandsaufnahme zum Ist- und Soll-Zustand der Mitbestimmung im politischen Prozess.
Wieso brauchen wir gerade jetzt einen Zukunftsrat?
Die traditionelle Politik ist für viele Menschen undurchschaubar und frustrierend geworden. Dabei gibt es inzwischen so viele tolle Methoden und Werkzeuge, die dabei helfen, gute Entscheidungen für die Allgemeinheit zu treffen, das Gemeinschaftsgefühl stärken und auch Spaß machen. Lasst uns solche Methoden ausprobieren und darüber reden, wie wir unsere Demokratie weiterentwickeln wollen!
– Florian Sturm, IG Demokratie –
Bürger*innen-Rat: Politik als „öffentliche Sache“ ist machbar
Bürger*innen-Räte stellen eines von mehreren Instrumenten der partizipativen Demokratie dar, die Mitbestimmung verwirklichen und die klassische repräsentative Demokratie ergänzen können.
Eine gelungene Auswahl – per Los – garantiert die Repräsentativität und Inklusivität und ermöglicht damit das Zusammenkommen von Menschen mit unterschiedlichsten Lebensrealitäten. Besonders der Prozess des öffentlichen Austauschs von Argumenten stärkt dabei das demokratische Bewusstsein aller partizipierenden Bürger*innen, denn so wird Politik wird als gesellschaftlicher Prozess für alle aktiv erlebbar.
Bürger*innen-Räte werden inzwischen immer öfter zur Lösung komplexer gesellschaftlicher Problemstellungen herangezogen. Zahlreiche nationale und internationale Beispiele belegen, dass sie als Ergänzung zur repräsentativen Demokratie auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene erfolgreich sind. Denn durch den argumentativen Austausch auf Augenhöhe zwischen Menschen unterschiedlichster Lebensrealitäten können erst innovative Lösungen herausgebildet werden, in denen sich viele der betroffenen Bürger*innen auch tatsächlich wiederfinden. So gewinnen die Menschen ihr politisches Selbstbewusstsein als Teil des Politischen zurück und gleichzeitig wird eine Kultur des demokratischen Miteinanders praktisch (vor)gelebt. Damit haben Bürger*innen-Räte das Potenzial, künftig ein zentrales Werkzeug zur „Demokratisierung der Demokratie“ zu werden.
Was begeistert sich persönlich am ZUKUNFTSRAT DEMOKRATIE?
Mich begeistert, dass wir versuchen, gute Fragen zu stellen ohne schon die Antwort zu haben. Niemand weiß, wie die Zukunft der Demokratie ausschauen wird. Aber wenn sich viele Menschen Gedanken darüber machen, wenn sich BürgerInnen mit PolitikerInnen und ExpertInnen in einem gut gehaltenem Gesprächsraum darüber austauschen, werden wir als Gesellschaft Lösungen für die Probleme unserer Gesellschaft finden.
– Florian Sturm, IG Demokratie –
Das Projekt Zukunftsrat Demokratie schafft einen demokratischen Raum, in dem gemeinsam darüber nachgedacht werden kann, wie Partizipation künftig (noch) besser funktionieren kann, wie Bürger*innen tatsächlich so in demokratische Prozesse eingebunden werden können, dass sie sich auch gehört und „mitgenommen“ fühlen können.
Bettina Reiter und Ronya Alev vom Verein Respekt.net zum Zukunftsrat
Warum Zukunftsrat Demokratie? Es gibt ja schon Modelle, wie Bürger*innen eingebunden werden können. Wieso setzt das Projekt auf der Meta-Ebene an?
Bürger*innen-Räte finden sich in den meisten Fällen schon zu vorab bestimmten Themen zusammen. Uns ist es wichtig, die Demokratie selbst zum Thema zu machen und Bürger*innen die Chance zu geben, sich über die „Spielregeln“ auszutauschen. Wir möchten die Demokratie, die ja in einer repräsentativen Form erstarrt ist, wieder in unsere eigenen Hände nehmen.
Warum Respekt.net?
Wir sind ja ein Verein, der sich aus der Unzufriedenheit von Bürger*innen gegründet hat, in Österreich die politischen Verhältnisse so wenig mitbestimmen zu können.
Ermächtigung und Ermöglichung sind da die key words von Respekt.net. Beispiele dafür sind die Crowdfunding-Plattform, die es Menschen erleichtert, ihr zivilgesellschaftliches Handeln der Öffentlichkeit zu präsentieren und zugleich die Finanzierung einzuwerben. meineabgeordneten.at setzt Standards an Transparenz und Rechenschaftspflicht von Mandataren um, zu denen die Politik sich bislang nicht entschließen konnte. Die Orte des Respekts stellen Initiativen aus ganz Österreich vor und erzählen die Geschichte der Zivilgesellschaft. derdiedasRespekt.at stellt Öffentlichkeit für das ehrenamtliche und tätige Österreich her und begleitet den politischen Diskurs aus der Perspektive der Zivilgesellschaft und ihren Akteuren.
Hat der Zukunftsrat konkrete Vorbilder?
Das Konzept eines Bürger*innen-Rates ist nichts Neues. Wir verlassen uns hier auf (internationale) Beispiele und Erfolge, wie zum Beispiel die “Citizens Assemblies” in Irland oder den Bürgerrat in Deutschland. In Vorarlberg ist das Instrument des Bürgerrats in der Landesverfassung verankert.
Was wollen wir?
Gemeinsam mit mehr demokratie! und IG Demokratie organisieren wir den Bürger*innen-Rat “Zukunftsrat Demokratie”. Dabei entwickeln zufällig ausgewählte Bürger*innen in mehreren Phasen Vorschläge für die Weiterentwicklung unserer Politik. Erfolgreiche internationale Beispiele zeigen, wie das gehen kann.
Die Kampagne
Der Bürger*innen-Rat ist das Herzstück einer breiteren partizipativen Kampagne. Ziel ist es, Bürger*innen, Öffentlichkeit und Politik die effektiven Möglichkeiten demokratischer Mitbestimmung bewusst und erfahrbar zu machen und den öffentlichen Diskurs rund um die Notwendigkeit der Weiterentwicklung der Demokratie anzuregen. Denk mal Demokratie nennt sich die Einladung zum gemeinsamen Austausch über Zustand und Zukunft der Demokratie, und dient zugleich als Grundlage für den Bürger*innen-Rat.