Umwelt- & Klimaschutz

Verein Arche Noah: „Artenvielfalt ist kein Selbstläufer“

Der niederösterreichische Verein „Arche Noah“ setzt sich seit bald 30 Jahren für Artenvielfalt bei Kulturpflanzen ein. Im Gespräch mit Nicole Kajtna über Ernährungssicherheit, Sortenvielfalt, EU-Lobbyismus und Einweg-Pflanzen.

In welchem Bereich ist der Verein Arche Noah aktiv?

Unser Hauptzweck ist die Erhaltung und Verbreitung von seltenen und gefährdeten Sorten von Kulturpflanzen. Seltene und gefährdete Sorten sind solche, die im Handel nicht mehr angeboten werden. Diese sind aus dem EU-Sortenregister gestrichen und können so im Markt nicht mehr gekauft werden.

Sorten, an denen eigentlich nichts auszusetzen wäre?

Es sind vor allem alte Sorten, samenfeste Sorten. Das heißt ihre Eigenschaften bleiben im Nachbau erhalten. Anders als bei Hybridsorten oder bei gentechnisch veränderten Sorten.

Hybridsorten können nur einmalig angebaut werden?

Genau, sozusagen Einweg-Pflanzen.

Nochmal kurz zurück zum Verein. Wie kam es zur Gründung von Arche Noah?

Wir hatten in den 80er-Jahren eine Arche Noah Pionierin: Nancy Arrowsmith. Sie hat hier in der Gegend im Kamptal gewohnt. Ihr ist aufgefallen, dass ihre Lieblingssorten, die sie selbst im Garten anbaut, im Markt nicht mehr erhältlich sind. Das war für sie der Startschuss ihre eigene Sammlung an Sorten aufzubauen. Diese Sammlung wuchs sehr rasch. Einerseits weil sie sich mit anderen Menschen vernetzt hat aber auch dank dem Austausch mit der Genbank in Gatersleben/Deutschland. Wir haben in den 90er Jahren auch zwei Sammelreisen nach Kroatien unternommen und so das Samenarchiv um wertvolle Lokalsorten erweitert. Zwei Vorgängervereine haben sich zur Arche Noah zusammengeschlossen: Reinhild Frech-Emmelmann, die jetzt Reinsaat weiterführt, war sozusagen eine Gründerin von Arche Noah.

Wir schauen welche Pflanzen betroffen sind, versuchen diese in unsere Sammlung zu bekommen und diese zu erhalten.

Es kam bereits der Sortenaufbau zur Sprache. Wie sorgt der Verein für die Sortenerhaltung?

Unser Sortenerhaltungsansatz ist: Erhaltung durch Nutzung, die sogenannte On-farm-Erhaltung. Gegenbeispiel wäre die Ex-situ-Erhaltung, wie das große Saatgutlager in Spitzbergen/Norwegen, wo die Samen tiefgefroren sind und so für kommende Generationen verfügbar gemacht werden. Bei uns passiert eine Lagerung im Samenarchiv in Schiltern, dieses Saatgut wird periodisch weiter angebaut. Die sachgerechte Lagerung ist nur für einen gewissen Zeitraum optimal, dann muss das Saatgut wieder in die Erde. Das hat den enormen Vorteil, dass sich durch den Wiederanbau das Saatgut mit den aktuellen Klimabedingungen mitverändern kann. Es werden für die nächste Lagerung immer die gesündesten und vitalsten Pflanzen ausselektiert.

Ist eigentlich jede Sorte erhaltenswert?

Grundsätzlich gibt es von uns keine Bewertung von mehr oder weniger lebenswerten Sorten, weil wir ja die künftigen Ansprüche an Pflanzen nicht kennen. Ein Verlust einer Sorte führt dazu, dass das Genmaterial unwiederbringlich verloren ist. Man kann es nicht wieder rückzüchten, wie auch im Tierleben. Wenn der Pandabär ausstirbt, dann gibt es diese Bärenart eben nicht mehr. Der Genpool ist eine große Ressource und wir können uns nicht darüber anmaßen, was wertvoll ist, weil sich auch die Bedingungen, zum Beispiel durch den Klimawandel laufend ändern. Für uns ist es eine alte Sorte, die nicht mehr im EU-Sortenkatalog gelistet ist. Wir schauen welche Pflanzen betroffen sind, versuchen diese in unsere Sammlung zu bekommen und diese zu erhalten.

Wie setzt sich die Sammlung zusammen?

Die Sammlung umfasst Samen, Zwiebeln und Knollen, wir haben auch Erdäpfel in der Sammlung. Rund 5.500 verschiedene Sorten aus verschiedenen Herkünften. Wir sind damit die größte private Kulturpflanzen-Samenbank in ganz Europa.

Wo werden die Pflanzen angebaut und vermehrt? Das braucht ja alles Platz.

On-farm, das heißt hier in Schiltern haben wir einen Schaugarten, in welchem wir Vermehrungsarbeit leisten. Dann noch einen eigenen Vermehrungsgarten im Gebiet bei Langenlois, jeweils mit einem Hektar. Darüber hinaus, weil wir in unserem Gebiet auch nicht das beste Klima für alle unsere Sorten im Archiv haben, gibt es auch ein Erhalter-Netzwerk in ganz Österreich. Sehr viele Landwirt*innen sind unter den Erhalter*innen dabei, die für uns Sorten anbauen und weiter erhalten. Wir bekommen von ihnen Saatgut, das wir wiederum ins Archiv einpflegen.

Wie sieht das bei jährlich anzubauenden Sorten aus?

Die Erdäpfel muss zum Beispiel jährlich angebaut werden. Das ständig wachsende Obstsegment wird nur durch den lebenden Bestand erhalten, das heißt die Sorten werden am lebenden Baum erhalten. Wir vergeben Flächen als Patenschaften auch an Privatpersonen, dass sie auf diese Art die Pflege und Erhaltung der Obstsorte gewährleisten.

Ganz flapsig gesagt: Wir sägen an unserer Ernährungsgrundlage.

Wie steht die Sortenvielfalt bei Kulturpflanzen der Sicherung der Lebensmittelversorgung gegenüber?

Wir sagen: Die Kulturpflanzenvielfalt ist Grundlage für die Ernährung. Wie bereits erwähnt, können wir nur bedingt abschätzen, welche Ressourcen wertvoll oder sogar überlebenswichtig sein werden. Es ist grobe Fahrlässigkeit, wenn wir den Artenschwund weiter fortsetzen, wir sprechen mittlerweile vom 6. großen Artensterben seit Beginn der Erdgeschichte. Den Begriff der Resilienz kann man hier gut einsetzen, weil ein größerer Genpool die Anpassung an extreme Wetterbedingungen unterstützt. Lokal angepasste Pflanzentypen sind somit ein wichtiger Fundus, im Gegensatz zu Sorten, die überhaupt erst nur durch massiven Einsatz von Pestiziden und Düngemitteln funktionieren. Vielfalt trägt zur Ernährungssouveränität bei. Natürlich dominieren die großen Konzerne mit dem sozusagen hochgezüchteten Saatgut den Markt und schaffen massive Abhängigkeiten. Die Welternährung wird aber nicht von den großen Konzernen getragen, sondern von den kleinbäuerlichen Betrieben. Diese sind angewiesen darauf, dass sie ihr Saatgut wieder anbauen und vermehren können und nicht zukaufen müssen.

Das ist ja in Österreich mittlerweile ein großes Problem.

In der Landwirtschaft wird fast ausschließlich auf Hybridsaatgut gesetzt. Samenfeste Sorten sind die Ausnahme. Dabei sind samenfeste Sorten in sich diverser und passen sich daher besser an wechselnde Umweltbedingungen an.

Die Politik setzt Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft. Wie sieht der Verein die aktuelle Politik? Fördert diese die Artenvielfalt oder ist sie eher hinderlich?

Artenvielfalt ist kein Selbstläufer. Wir haben ein Politikteam, das in Wien und Brüssel aktiv ist und und wir setzen uns für Rahmenbedingungen ein, die eine vielfältige Landwirtschaft erst ermöglichen. Es sitzen dort sehr wohl die Lobbyisten von den großen Saatgutkonzernen und natürlich wollen sie, dass die Gesetzgebung in ihrem Sinne auch passiert. Die Arche Noah setzt sich für ein nachhaltiges EU-Saatgutrecht ein. Wir schauen darauf, dass samenfestes Saatgut und der Verkauf legal bleibt. Wir haben eine sehr erfolgreiche Aktion im Jahr 2015 gestartet. Hier haben wir innerhalb kurzer Zeit mehrere zehntausende Unterschriften gesammelt, damit eben diese Saatgutgesetzgebung keine neuen Restriktionen einbaut und die Arbeit der Arche Noah illegal gemacht hätte. Dieses Saatgutgesetz ist gekippt worden. Es ist nicht weg vom Tisch, man muss ständig darauf schauen, dass es nicht wieder auf die Agenda kommt. Hier war die Arche Noah mit anderen NGOs maßgeblich beteiligt daran, dass das nicht umgesetzt wurde.

Und wie sieht es jetzt aus?

Es gibt eine Reihe von internationalen Verträgen und Förderprogrammen, die darauf abzielen, dass die Vielfalt von Kulturpflanzen gefördert werden muss. Aber man muss ständig darauf schauen, ob diese Verträge angewendet oder verwässert werden.

Hat dies auch Auswirkungen auf sogenannte Patente auf Saatgut?

Große Akteure in der Lebensmittelindustrie sind natürlich daran interessiert, weltweite Patente anzumelden. Nicht nur auf Tiere, sondern sehr wohl auf konventionell gezüchtete Pflanzen. Einerseits hat das Patentamt auch in Europa Interesse daran solche Patente zu erteilen, weil sie daran ja verdienen. Das widerspricht natürlich der Idee, dass wir genetische Vielfalt frei verfügbar halten wollen. Deshalb bringen wir uns auch massiv ein, wenn Patentanmeldungen im Pflanzen- oder Tierbereich eingebracht werden. Beispiel ist aktuell die mit anderen NGOs gemeinsame Petition gegen ein Patent auf Fischfutter, da der davon gezüchtete Fisch ebenfalls patentiert wäre.

Für Arche Noah ist die Zusammenarbeit mit anderen NGOs also sehr wichtig?

Wir sind in einem Verbund mit mehreren NGOs. Wer gemeinsam auftritt, hat eine stärkere Stimme.

Wechseln wir zu einem der bestimmenden Themen in Österreich und Europa. Bestärkt die aktuell verstärkte Diskussion um den Klimawandel auch die Diskussion um die Artenvielfalt?

Ein gewisses offenes Ohr ist vorhanden, aber hat sich aktuell noch nicht niedergeschlagen. Die GAP (Anm.: Gemeinsame Agrarpolitik der Europäischen Union) legt die Vergabe öffentlicher Subventionen und die Spielregeln für die europäische Landwirtschaft fest. Die neuen GAP-Verhandlungen zeigen, dass die Begünstigten noch immer die großen Monokultur-Betriebe sind. Das geht natürlich weiter auf Kosten der Vielfalt. Hier sehen wir noch keine Entwicklung in Richtung mehr Vielfalt und zu den ökologisch Wirtschaftenden.

Obwohl die einhergehenden Probleme des Klimawandels ein großes Problem für die Artenvielfalt wären und somit auch für uns.

Absolut, das ist eine große Herausforderung. Diese Interessen sind aber nicht so stark vertreten auf internationaler Ebene, dass hier eine starke Stimme sprechen würde.

Wir sind keine Selbsthilfegruppe, im Gegenteil. Wir zeigen ja auf, wie wir rauskommen aus dieser Klimakrise.

Kann man die Auswirkungen des Artenverlustes irgendwie beschreiben?

Ganz flapsig gesagt: Wir sägen an unserer Ernährungsgrundlage. Die Ertragssicherheit wird durch Vielfalt sichergestellt. Stichwort: Resilienz. Wenn wir auf weniger Genpool zurückgreifen können, sinkt die Resilienz. In Zahlen: Der Biodiversitätsrat der UN hat festgestellt, dass eine Million Arten akut gefährdet sind und wir bereits heute 20% weniger Arten haben als zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Das ist weltweit so, wir sind nicht davon ausgenommen.

Eigentlich keine schönen Aussichten.

Wenn man es so betrachtet, ist es ein wenig trist. Wir denken aber, dass wir es noch in der Hand haben entgegen zu steuern, wenn man den Willen hat, wenn es von politischer Seite entsprechende Impulse gibt.

Wichtig sind auch die spürbaren Impulse aus der Zivilgesellschaft.

Es ist ein unschätzbarer Wert, was Greta Thunberg geleistet hat, dass die Klimakrise auf einmal auf der Agenda ist. Dass auch politische Parteien hellhörig werden und zumindest im Wahlkampf nicht ignorieren konnten. Aber es ist unbequem, eine unbequeme Wahrheit. Verkauft sich halt nicht so gut.

Unbequeme Dinge sind unbeliebt, aber sie müssen immer wieder aufs Tapet gebracht werden.

Idealerweise durch positive Beispiele. Wir sind keine Selbsthilfegruppe, im Gegenteil. Wir zeigen ja auf wie wir rauskommen aus dieser Klimakrise. Hier haben wir gute Antworten und Forschungsprojekte laufen. Ein wichtiger Teil ist Bildungs- und Forschungsarbeit, wo wir mit Landwirt*innen an Sorten zusammenarbeiten, die trockenresistent sind. Im nächsten Jahr haben wir beispielsweise einen Bohnenschwerpunkt. Wir wollen einen Beitrag zu einer zukünftigen Ernährung leisten, die eiweißbasiert, aber nicht eben aus tierischem, sondern aus pflanzlichem Eiweiß besteht. Hier sehen wir großes Potential.

Stichwort Bildung: Gibt es bei Arche Noah auch Bildungsarbeit für Kinder, Jugendliche und Erwachsene?

Wir haben einen Schaugarten bzw. Lehrgarten in Schiltern, der auch an ein Besucherzentrum verknüpft ist. Wir laden Gruppen ein, uns während unserer Öffnungszeiten zwischen April und Oktober zu besuchen. Wir haben Umweltpädagog*innen, die auch speziell mit Schüler*innen zusammenarbeiten. Wir haben vis-à-vis die Gartenschule in Schiltern, dies sind ein Kindergarten und eine Volksschule mit einem Gartenschwerpunkt im Curriculum. Sie kommen regelmäßig zu uns in den Garten und gestalten dort ihren Unterricht. Es ist wichtig, die junge Generation zu diesem Thema zu sensibilisieren.
Eine wichtige Bildungsschiene richtet sich an Landwirt*innen und Private: Das geht vom städtischen Gärtnern bis hin zum Gärtnern für Betriebe, außerdem gestalten wir Ausbildungslehrgänge für Baumpfleger*innen oder Saatguterhalter*innen.

Hört sich nach einem breiten Tätigkeitsfeld an. Wie viele Personen sind beim Verein aktiv?

Im Verein sind rund 50 Personen angestellt, die ständig rund ums Jahr arbeiten. In den Sommermonaten werden wir von 5-10 Praktikant*innen unterstützt, die uns im Garten helfen. Saatguternte, Trocknung, Reinigung und Einpflegen ins Archiv werden alles händisch gemacht. Das Erhaltungsnetzwerk umfasst einige hundert Personen. Dazu noch das Netzwerk von Paten, die Obst-Paten, sowie die allgemeinen Vereinsmitglieder, rund 15.000 in ganz Europa. 30 Jahre Arbeit bleiben nicht unbemerkt.

Zur Person: 

Nicole Kajtna leitet das Besucherzentrum des Vereins Arche Noah beim Schaugarten in Schiltern.

Verein Arche Noah

Intensiv näher kennenlernen kann man den Verein Arche Noah im Schaugarten in Schiltern/Niederösterreich, geöffnet von April bis Oktober.
In Wien ist zwei Mal im Jahr der pop-up Store geöffnet, wo Arche Noah Saatgut, Jungpflanzen und Fachliteratur verkauft. Jetzt noch bis Ende Oktober.
Im April und Mai gibt es dann wieder in ganz Österreich die beliebten Bio-Jungpflanzen-Märkte.
Weitere Informationen: www.arche-noah.at

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