Demokratie & Bürgerrechte

Wir müssen Rechtsstaat und Justiz stärken

Lange schien es so, als hätten wir ein festes Fundament von Demokratie und Recht, als wäre die Freiheit des Einzelnen in Österreich und nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auch in den meisten Staaten Europas gut abgesichert. Die letzten Jahre haben aber gezeigt: unser politisches System ist fragiler als wir dachten. Rechtsstaat und Demokratie kommen immer häufiger unter Druck; insbesondere in Polen und Ungarn sind die Auswirkungen offensichtlich: Medien, Universitäten und Justiz haben einen Teil ihrer Unabhängigkeit verloren. Der Kampf gegen Terrorismus und die Datensammelwut von Sicherheitsbehörden und Internetkonzernen haben fast überall zu Beschränkungen der individuellen Freiheiten geführt.

Bedenkliche Tendenzen waren zuletzt auch in Österreich zu verzeichnen: Angriffe auf Journalistinnen und Journalisten und die Unabhängigkeit des ORF, die Forderung, das Recht müsse der Politik folgen, das Infragestellen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Verbindlichkeit des Europäischen Rechts, die Ernennung eines Verfassungsrichters, der sich spöttisch über den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte äußerte, Beschränkungen der Religionsfreiheit (Karfreitag) und Versuche, die Meinungsfreiheit im Netz einzuschränken.

Als Abgeordnete zum Europäischen Parlament, als Justizministerin und als Richterin am Europäischen Gerichtshof habe ich den Wert unserer Rechtsordnung und unseres politischen Systems immer mehr zu schätzen gelernt, aber auch deren Schwachstellen und Achillesfersen kennengelernt. Dazu gehört auch, dass insbesondere der Wert der rechtsstaatlichen Grundsätze bei den Bürgerinnen und Bürgern nur schwach verankert ist und durch demagogische Aktionen schnell in Frage gestellt werden kann. 

Die Situation der heimischen Gerichtsbarkeit ist alarmierend.

Die im Frühjahr von mir mitgegründete Plattform Demokratie und Recht versteht sich als eine überparteiliche zivilgesellschaftliche Initiative zur Verteidigung von Rechtsstaat und Demokratie. Die Plattform will gemeinsam mit etablierten Organisationen der Zivilgesellschaft wie Respekt.net und justiznahen Organisationen einen Beitrag zur Stärkung der demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen leisten und zur Bildung eines Verfassungsbewusstseins in der Bevölkerung beitragen. Die Stärkung des Verfassungsbewusstseins und des Bewusstseins des Wertes einer unabhängigen, gut funktionierenden Justiz soll ein erster Schwerpunkt der Arbeiten von Demokratie und Recht sein. 

Die aktuelle Ressourcenlage der Justiz hat uns veranlasst, eine Petition zur Stärkung und Rettung zu starten. Denn die Situation der heimischen Gerichtsbarkeit ist alarmierend. Die Krise ist nicht über Nacht gekommen, aber sie hat das Justizsystem nun an den Rand des Zusammenbruchs gebracht. 

Das hat viele Gründe. Die von der Justiz zu erfüllenden Aufgaben sind gesetzlich genau umrissen und können nicht einfach je nach Budgetlage eingeschränkt werden: der Anfall von notwendigen Strafverfahren und die Erfordernisse des Strafvollzugs richten sich nicht nach dem Budget. Ein schrittweiser Personalabbau kann über eine gewisse Zeit durch Rationalisierungen aufgefangen werden, irgendwann geht es aber an die Substanz und die Leistungen können nicht mehr ordnungsgemäß erbracht werden. Urteile der Richterinnen und Richter werden nicht mehr fristgerecht abgefertigt, strafrechtliche Ermittlungen können nicht mehr oder nur zu langsam geführt werden, in vielen Strafvollzugsanstalten herrschen sicherheitsgefährdende Umstände, Einträge in das Strafregister aber auch in das Grundbuch und das Firmenbuch verzögern sich. 

Während dem Polizeidienst 2000 neue Planstellen zugesagt wurden, hat die letzte Regierung die Stellen der Justiz weiter reduziert. Das führt auch zu einem Ungleichgewicht zwischen den Bereichen Polizei und Justiz – die Justiz kann die ihr zugeordneten Kontrollfunktionen über die Polizei nicht mehr im vollen Ausmaß wahrnehmen. Das ist rechtsstaatlich und demokratiepolitisch gefährlich – man denke nur an die Causa BVT.

Es ist daher höchste Zeit, die Bundesregierung und das Parlament zum Handeln aufzufordern. Mit vergleichsweisen wenigen Planstellen und überschaubaren budgetären Mitteln könnte die Justiz wieder handlungsfähig gemacht werden.

Deswegen haben wir eine Petition gestartet: https://mein.aufstehn.at/petitions/rettet-die-justiz

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