Demokratie & Bürgerrechte

Was sagt die Verfassung zu Transparenz?

Was für eine Frage, werden sich jetzt viele denken! Wenn ein Staat für Geheimniskrämerei bekannt ist, dann ist es wohl unserer! Und weiter: Es mag ja schön und gut sein, wenn Politiker*innen immer wieder betonen, wie wichtig Demokratie, Rechtsstaat und bürgernahe Verwaltung sind. Aber was nützt das, wenn die meisten von uns so wenig darüber erfahren können?

Seit 1925 heißt es in Artikel 25 Absatz 3 des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG): „Alle mit Aufgaben der Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung betrauten Organe sowie die Organe anderer Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zur Verschwiegenheit über alle ihnen ausschließlich aus ihrer amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Tatsachen verpflichtet, deren Geheimhaltung im Interesse der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, der umfassenden Landesverteidigung, der auswärtigen Beziehungen, im wirtschaftlichen Interesse einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, zur Vorbereitung einer Entscheidung oder im überwiegenden Interesse der Parteien geboten ist (Amtsverschwiegenheit). Die Amtsverschwiegenheit besteht für die von einem allgemeinen Vertretungskörper bestellten Funktionäre nicht gegenüber diesem Vertretungskörper, wenn er derartige Auskünfte ausdrücklich verlangt.“

Geheimhaltung ist also nicht nur gegenüber Bürger*innen sondern auch gegenüber dem Parlament möglich. Demokratische Kontrolle ist damit stark beschränkt.

Dazu kommt seit 1929 eine weitere Einschränkung: Bis dahin wurde die Bundesregierung vom Nationalrat gewählt. In der Begriffswelt des B-VG ist das ein „allgemeiner Vertretungskörper“. Seit 1929 ernennt der*die Bundespräsident*in den*die Bundeskanzler*in und auf dessen*deren Vorschlag die Mitglieder der Bundesregierung. Das hat zur Folge, dass sich jedes Mitglied der Bundesregierung auf die Amtsverschwiegenheit berufen kann, wenn Abgeordnete zum Nationalrat oder Mitglieder des Bundesrates Anfragen stellen.

Geheimhaltung ist also nicht nur gegenüber Bürger*innen sondern auch gegenüber dem Parlament möglich. Demokratische Kontrolle ist damit stark beschränkt. Seit langem kämpfen Abgeordnete daher für mehr Rechte. Das ist auch deshalb so schwierig, weil jede Ausnahme von der Amtsverschwiegenheit in die Bundesverfassung geschrieben werden muss. Es braucht also immer eine Zweidrittelmehrheit und oft auch sehr komplexe Regelungen. Selbst dann, wenn sich eine Mehrheit gefunden hat, heißt das nicht, dass Informationen auch wirklich weitergegeben werden. Am Besten können wir das bei Untersuchungsausschüssen sehen: Hier steht klipp und klar in der Bundesverfassung, dass staatliche Stellen dem Nationalrat Informationen und Unterlagen übermitteln müssen. Aber dennoch kommt es regelmäßig zu Verzögerungen, zu unvollständigen Lieferungen und Streitigkeiten.

Aber warum ist das so? Auch wenn Regierung und Verwaltung die Bedeutung von Transparenz, Verständlichkeit und Offenheit betonen, so weisen sie zugleich darauf hin, dass man sehr umsichtig vorgehen müsse – schließlich gebe es ja gute Gründe, nicht gleich alles öffentlich zu machen. Das ist richtig und für viele nachvollziehbar, wenn wir z.B. an den Schutz der Daten von Privatpersonen, an die Vorbereitung von Entscheidungen oder Geschäftsabschlüssen, an Ermittlungen der Polizei oder ähnliches denken. Wir wissen ja aus unserem persönlichen Leben, dass es wichtig sein kann, schwierige Fragen zunächst im vertrauten Kreis zu besprechen. Wir wissen, dass manches in der Zusammenarbeit schief gehen kann, wenn alles beobachtet wird und gleich „alle mitreden“ wollen. Dasselbe gilt für den Staat und die Verwaltung, sogar noch mehr als unter Privaten, denn beim Staat ist immer sofort die Frage der Machtausübung dabei.

Auch in den Staaten, in denen es wie etwa in Schweden oder den USA, in denen schon lange das Prinzip der Informationsfreiheit gilt, haben diese Gründe große Bedeutung. Informationsfreiheit ist hier nach dem Regel-Ausnahme-Prinzip gestaltet. Das heißt: Die Regel ist der freie Zugang zu staatlichen Informationen, aber es gibt in begründeten Fällen Ausnahmen davon, die für alle klar ersichtlich und nachvollziehbar sind.

In Österreich scheint das Verhältnis jedoch umgekehrt: Nach allgemeinem Verständnis ist die Regel Geheimhaltung und die Ausnahme Informationszugang. Daher sprechen wir in Österreich immer von Amtsverschwiegenheit. Informationsfreiheit bleibt eine Forderung, deren Umsetzung seit vielen Jahren angekündigt wird.

Aber: Können wir Art. 20 Abs. 3 B-VG nicht auch anders lesen? Sicher, er setzt mit der Verpflichtung zur Verschwiegenheit ein. Dann werden jedoch jene Fälle angeführt, in denen diese Pflicht besteht, nämlich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, die umfassende Landesverteidigung usw. Wir können also zum Schluss kommen, dass in allen anderen Fällen keine Verschwiegenheitspflicht besteht. Wenn wir dann schauen, welche Ausnahmen in anderen Staaten vorgesehen sind, können wir auch feststellen, dass das im Wesentlichen dieselben sind, wie in Österreich.

In den letzten Jahren haben das auch immer mehr Gerichte in Österreich so gesehen, und entschieden, dass Behörden die Auskunft nicht verweigern können, wenn nicht ein solcher besonderer Grund vorliegt. Schon beim Österreich-Konvent, der von 2003 bis 2005 über Verfassungsreformen beraten hat, gab es Übereinstimmung dahingehend, dass kleine Änderungen und Umstellungen im Verfassungstext reichen würden, um Informationsfreiheit in Österreich sicherzustellen. Damit kann deutlich werden, dass es im Zusammenhang mit Transparenz gar nicht so sehr um den Verfassungstext als vielmehr um dessen jahrzehntelang unhinterfragte Auslegung geht.

Die Forderung nach Informationsfreiheit ist damit immer auch die Forderung, den Staat demokratischer zu machen [...]

Das heißt aber auch, dass Regierung und Verwaltung seit Jahrzehnten durch eine Tradition der Verschwiegenheit (und oft auch des Argwohns gegenüber Menschen, die etwas wissen wollen) geprägt sind. Wenn der Staat transparenter werden soll, dann wird es daher auch nicht ausreichen, bloß den Verfassungstext zu ändern. Es braucht dann klare und verständliche Verfahrensregeln, die sicherstellen, dass Informationen zur Verfügung gestellt werden müssen (z.B. durch automatische Veröffentlichung im Internet), und dass Interessierte rasch und ohne großen Aufwand Informationen erfragen können. Solche Informationen müssen aber auch verstanden werden können. Es nützt nichts, wenn z.B. ein Akt herausgegeben wird, der sich faktisch nicht entschlüsseln lässt. Die Forderung nach Informationsfreiheit ist damit immer auch die Forderung, den Staat demokratischer zu machen, indem seine Organisation und sein Handeln verständlicher und nachvollziehbarer werden und so mehr und bessere Mitsprache, Wissen und Verständnis bei allen, die in diesem Staat leben, wachsen können.

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