Respekt & Vielfalt

Sozialer Zusammenhalt, wie geht’s dir eigentlich?

„Ich interessiere mich eigentlich nicht für Politik, aber in einem Krieg muss man sich anpassen.“ Mit diesen Worten argumentierte Jaroslav Belsky, eine Art Anti-Corona-Influencer, die Gründung der neuen Partei „dieBasis“. Egal ob in Telegram-Gruppen von „Corona-Gegner*innen“ oder in Social Media – immer wieder liest man ähnliche Kommentare, in denen von Krieg oder von einer „Corona-Diktatur“ die Rede ist. Es wird zu Widerstand aufgerufen – durch Masken-Verweigerung, Geschäftsöffnungen oder Gewaltanwendungen. Journalist*innen oder Politiker*innen werden dabei zu Feinden erklärt und es werden Falschmeldungen verbreitet, ohne Gegenargumente zuzulassen.

Wirft man einen Blick in verschiedenste Social Media-Kanäle scheint diese Untergangsstimmung derzeit allgegenwärtig zu sein. Es wirkt als wäre der soziale Zusammenhalt in Österreich in Gefahr. Als hätten Menschen die Basis verloren, um in einen Diskurs zu treten und nicht gegeneinander und aneinander vorbei zu reden. Aber steht es wirklich so schlimm, um den sozialen Zusammenhalt in Österreich? derdiedasRespekt.at schaut genauer hin.

Immer weniger glauben an stärkeren Zusammenhalt

Eine erste Antwort darauf, wie es um den sozialen Zusammenhalt in Österreich steht, kann das Projekt an der Universität Wien „Austrian Corona Panel Project“ geben, bei dem seit März 2020 regelmäßige Erhebungen zu Fragen rund um die Corona-Krise durchgeführt werden.

Die schlechte Nachricht zuerst: Aus den Ergebnissen lässt sich ableiten, dass immer weniger Menschen der Meinung sind, der Zusammenhalt in der Gesellschaft hätte sich erhöht: Zu Beginn der Pandemie (Ende März 2020) stimmten noch 62 Prozent der Aussage zu, dass sich der gesellschaftliche Zusammenhalt in der vorangegangenen Woche erhöht hat. Demgegenüber standen nur acht Prozent, die dieser Aussage nicht zustimmten. Diese anfängliche positive Einschätzung sank in den kommenden Monaten. Mitte Oktober lag der Zustimmungswert nur noch bei 14 Prozent, während 53 Prozent keine Erhöhung des sozialen Zusammenhalts wahrnahmen.

Solidarität weiterhin auf hohem Niveau

Soweit, so ernüchternd. Doch geht es um ein solidarisches Handeln einzelner Individuen, sieht es besser aus. Solidarität ist vielen wichtig – insbesondere in der derzeitigen Situation. So wurde im Rahmen des „Austrian Corona Panel Project“ auch nach der Bereitschaft gefragt, die eigene Lebensweise zu ändern, um andere zu schützen. Auch das ein Aspekt des sozialen Zusammenhalts. Mit zunehmender „Krisenmüdigkeit“ sank diese Bereitschaft zwar – vor allem über die Sommermonate. Seit November steigt sie jedoch – gemeinsam mit den Fallzahlen – wieder. Und das ist die gute Nachricht: Der Großteil der Menschen, nämlich 53 Prozent, ist nach wie vor dazu bereit, sein oder ihr Leben zum Schutz Anderer zu ändern.

Zivilgesellschaftliches Engagement nimmt zu

Von zunehmender Solidarität kann auch Anton Hörting berichten. Hörting ist Abteilungsleiter des Bereiches Freiwilligenangelegenheiten im Sozialministerium und dadurch mitverantwortlich für die Seite freiwilligenweb.at. Während die formelle Freiwilligenarbeit in Vereinen und Organisationen aufgrund der Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen zu Beginn der Pandemie abnahmen, stieg das zivilgesellschaftliche Engagement, weiß Hörting: „Es sind sehr viele zivilgesellschaftliche Initiativen entstanden, in denen sich Personen informell engagieren. Sie sind beispielsweise einkaufen gegangen oder haben andere Wege für Risikogruppen erledigt. Das hat enorm zugenommen“.

Auch wenn konkrete Zahlen fehlen, weiß Hörting aus seiner Erfahrung, dass dieses freiwillige Engagement auch jetzt – fast ein Jahr später – noch hoch ist. Gleichzeitig nimmt das ehrenamtliche Engagement in Vereinen und Organisationen zu. Diverse Angebote werden dabei in den digitalen Raum verlegt. Zum Beispiel durch Telefondienste: „Früher gab es Besuchsdienste, gemeinsame Unternehmungen, Spaziergänge. Jetzt wird auf Telefondienste gesetzt, um etwas gegen die Einsamkeit zu tun. Es entstehen neue Formen des Engagements.“ Also auch in diesem Bereich gute Nachrichten für den sozialen Zusammenhalt.

Eine laute und sichtbarere Bubble?

Auch wenn viele Menschen den gesellschaftlichen Zusammenhalt als bedroht wahrnehmen, tatsächlich scheint die Solidarität innerhalb der Gesellschaft gar nicht dermaßen zu bröckeln wie es der Blick auf Facebook und Co. vermuten lässt. Ein Widerspruch, der vielleicht gar keiner ist. Vor allem die rechtsextreme und rechtspopulistische Szene, die auch unter den „Corona-Gegner*innen“ prominent vertreten sind, weiß Social Media für sich zu nutzen. Mit Hilfe von hyperaktiven Nutzer*innen, die gezielt kommentieren, kann der gesellschaftliche Zusammenhalt schnell gefährdeter erscheinen als er ist. Jene, die von kriegerischen und diktatorischen Zuständen in Österreich schreiben, sind sichtbarer, lauter. Provokationen werden in Social Media-Kanälen mit Aufmerksamkeit belohnt.

Hinzu kommt, dass Rechtsextreme die derzeitige Unsicherheit vieler Menschen sehr wohl zur Radikalisierung nutzen. Denn in Krisenzeiten ist es einfacher, Menschen mit extremen Ideologien in Kontakt zu bringen. Gerade deshalb gilt es, sich klar gegen gefährliche Narrative zu positionieren, zu widersprechen, Solidarität sichtbar machen, genauso wie die vielen Stimmen, die sich für demokratische Werte und sozialen Zusammenhalt aussprechen oder wie es die Autorin Ingrid Brodnig in ihrem neuen Buch „Einspruch“ schreibt: „Dass wir jene Stimmen fördern, die gewillt sind, die Komplexität der Welt mit all ihren schönen und unbehaglichen Seiten anzuerkennen.“

Freiwilligenweb und #ichbinhier

Auf der Webseite freiwilligenweb.at werden zahlreiche Initiativen aufgelistet, die sich auf verschiedenen Ebenen im Kontext der Pandemie engagieren. Dazu zählen Nachbar*innen-Hilfen, Kunst- und Kulturangebote, Gesprächsmöglichkeiten und vieles mehr – und zwar österreichweit! Absolute Empfehlung, um Hilfe (in welcher Form auch immer) anzunehmen oder selbst zu helfen.

Wer digital Zivilcourage zeigen will, sollte sich auf der Webseite ichbinhier.eu umschauen. Unter dem Hashtag #ichbinhier wird zur Debattenkultur in Sozialen Medien beigetragen, Gegenrede (Counter-Speech) steht dabei im Fokus.

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