Demokratie & Bürgerrechte

Teures Wahlrecht, sozial selektive Demokratie

Wussten Sie eigentlich, dass Ihr Wahlrecht auch eine Frage des Geldes ist? Damit meine ich nicht die Organisation und Administration der Nationalratswahl oder gar die allgemeine Parteienförderung sowie die Spenden, mit denen der Wahlkampf bestritten wird, sondern die Gebühren und Abgaben, die Sie für Ihr Wahlrecht zahlen müssen. Für Bundesgebühr und Landesverwaltungsabgabe sind je nach Bundesland mit bis zu 1.300 Euro zu rechnen, zudem müssen Sie über die vergangenen Jahre hinweg ein monatliches Einkommen von mindestens 933 Euro nachweisen – allerdings nach Abzug von Miete, Kreditraten, Unterhaltszahlungen und dergleichen. Es gilt also, einen „hinreichend gesicherten Lebensunterhalt“ belegen zu können, damit „das Einkommen ohne Unterstützung durch Sozialhilfeleistungen sichergestellt ist“, wie es im Gesetz heißt. Noch nie etwas davon gehört? Dann haben Sie die österreichische Staatsbürgerschaft und mit ihr das Wahlrecht wohl geschenkt bekommen.

Das Wahlrecht ist in Österreich – im Gegensatz zu vielen anderen Staaten – eng an die Staatsbürgerschaft gekoppelt. Und diese ist auch im internationalen Vergleich gar nicht so leicht zu erhalten. Dem Ausdruck „Erwerb“ der österreichischen Staatsbürgerschaft kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Denn zu den allgemeinen Einbürgerungsvoraussetzungen für die Staatsbürgerschaftsverleihung zählen nicht nur der ununterbrochene und rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet, Unbescholtenheit, bejahende Einstellung zur Republik, deutsche Sprachkenntnisse und Grundkenntnisse der demokratischen Ordnung, sondern auch die ökonomische Leistungsfähigkeit. Die österreichische Staatsbürgerschaft muss man sich verdienen.

Obwohl die österreichische Bevölkerung wächst, ist die Anzahl der Wahlberechtigten abermals gesunken.

Diese Hürde führt in weiterer Folge zum Wahlrechtsausschluss sozioökonomisch schlechter gestellter Menschen. Für arme, armutsgefährdete und damit zum Beispiel für alleinerziehende Nichtösterreicher*innen sind Staatsbürgerschaft und Wahlrecht kaum erreichbar. Wie zu Zeiten des Zensuswahlrechts sind mittellose Schichten vom Wahlrecht quasi ausgeschlossen. Das Staatsbürgerschaftsrecht wirkt durch das ökonomische Leistungskriterium sozial selektiv, was letztlich nicht nur zu einer größer werdenden Kluft zwischen Wohnbevölkerung und Wahlbevölkerung, sondern auch zu einer Verzerrung der Repräsentation nach sozialen Klassen führt: Nichtwahlberechtigte sind eher unter Arbeiter*innen als unter Angestellten oder gar Unternehmer*innen zu finden. Nichtwahlberechtigte befinden sich eher in der niedrigen Einkommensschicht. Zudem leben Nichtwahlberechtigte eher in Städten und sind im Schnitt neun Jahre jünger als Wahlberechtigte.

Für die kommende Nationalratswahl heißt dies: Obwohl die österreichische Bevölkerung wächst, ist die Anzahl der Wahlberechtigten abermals gesunken. Mehr als 1 Million dauerhaft in Österreich lebende Menschen – rund 15 % der Bevölkerung im Wahlalter – sind aufgrund der Koppelung des Wahlrechts an die Staatsbürgerschaft von der Wahl ausgeschlossen. Dass sie bei der Nationalratswahl überhaupt nicht repräsentiert sind, betrifft auch die wahlberechtigten Österreicher*innen, denn ihr Ausschluss hat eine allgemeine Unterrepräsentation von jungen Menschen, von Städter*innen sowie von niedrigen Einkommensschichten zur Folge.

Anders gesagt: Das allgemeine Wahlrecht ist nicht gar so allgemein, sondern schließt viele Rechtsunterworfene sozial selektiv aus. Der gewählte Nationalrat beruht damit auf einer nach Alter, Einkommen und Region verzerrten Wahlbevölkerung. Repräsentationskluft und Repräsentationsverzerrung ziehen Kosten für Demokratie und staatliche Legitimation nach sich, die in die Bemessungsgrundlage für den Erwerb einer Staatsbürgerschaft nicht miteinkalkuliert wurden.

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