Gleichberechtigung & Frauenrechte

Warum es Frauenhäuser braucht

Liebe Frau Schweiger, vielen Dank für dieses Interview. Dürfte ich Sie um eine kurze Vorstellung und Beschreibung Ihrer Rolle im Frauenhaus Neunkirchen bitten?

Sehr gerne. Ich lebe im ländlichen Raum und bin seit 1983 im Sozialbereich tätig. Unter anderem habe ich mit Menschen mit geistiger Beeinträchtigung, „schwererziehbaren“ Mädchen und wohnungslosen Männern gearbeitet. Im Frauenhaus Neunkirchen arbeite ich jetzt schon seit über 20 Jahren.

Im Frauenhaus übernehme ich sehr unterschiedliche Aufgaben. Diese reichen von der Beratung und Begleitung bis hin zur Betreuung von Frauen und ihren Kindern, die von Gewalt betroffen sind. Wir unterstützen sie bei Behördenwegen, Anträgen, Arbeitssuche, Wohnungssuche und begleiten sie sogar zum Gericht. Zumindest einmal wöchentlich werden in einem Beratungsgespräch die derzeitige Situation und die nächsten nötigen Schritte besprochen. Jedoch ist es genauso wichtig die persönlichen Probleme und Ängste der Frauen aufzugreifen. Die oberste Priorität ist es, immer möglichst hilfreich für die Frauen zu sein – ohne zu bewerten. Jede Frau darf und soll selbst ihre nächsten Schritte entscheiden dürfen, wir unterstützen sie nur dabei. Außerdem bieten wir auch Nachbetreuung von Frauen (und Kindern) an, die bereits in einer eigenen Wohnung leben.

Da dies anscheinend eine Frage ist, die immer wieder in der Gesellschaft auftaucht: Warum braucht es Frauenhäuser?

Diese Frage wird so oft diskutiert. Frauen sind in den meisten Fällen körperlich schwächer, was wesentlich dazu beiträgt, dass sie von männlicher Gewalt bedroht und betroffen sind.

Genauso wesentlich ist aber auch die finanzielle Abhängigkeit. Die Lohnschere zwischen den Geschlechtern ist in Österreich sehr groß und das ist altbekannt. Dieser Umstand trägt aber natürlich wesentlich dazu bei, dass Frauen so viel Gewalt ausgesetzt sind. 

Der dritte wichtige Punkt ist, dass es nach wie vor Frauen sind, die die gesamte Pflegearbeit leisten. Sie betreuen/versorgen sowohl die Alten als auch die Jungen. Das wiederum zwingt sie sehr oft zur Teilzeitarbeit und das führt wiederum zu weniger Einkommen. Ein Aspekt ist die Kindebetreuung in Einrichtungen: Am Land sind die Öffnungszeiten zum Teil katastrophal, in der Stadt kostet sie oft (zu) viel. Ganztagesschulen und Kinderbertreuungseinrichtungen mit langen Öffnungszeiten und ohne „Ferien“ wären ein guter erster Schritt.

Es kann jeder Frau passieren!

Wer sind die betroffenen Frauen in eurer Einrichtung? Aus welchen sozialen Schichten kommen sie? Wie „divers“ sind sie?

Es kann jeder Frau passieren! Das ist ein Slogan der Frauenhäuser und so ist es auch! Ich selbst brauchte einmal die Hilfe der Polizei, inklusive Betretungs- und Kontaktverbot, um die Beziehung mit einem Gewalttäter beenden zu können! Ich arbeitete bereits etliche Jahre im Frauenhaus, als ich ihn kennenlernte, dennoch erkannte ich sein Aggressionspotential zu Beginn nicht. Auch meinem, doch nicht ganz kleinem, privaten Umfeld fiel er anfangs nicht negativ auf. Ich gehe damit deswegen so offen um, weil ich es wichtig finde gegen das doch vorhandene Stigma „selber Schuld“ anzukämpfen.

Im Frauenhaus wohnen Frauen ohne Ausbildung genauso wie Rechtsanwältinnen, Ärztinnen, Lehrerinnen, Büroangestellte, Kindergärtnerinnen, Verkäuferinnen, Elektrikerinnen, Künstlerinnen und so weiter. Ebenso vielfältig sind die Herkunftsländer. Österreicherinnen treffen im Frauenhaus auf Frauen aus so ziemlich allen EU-Ländern und auch außerhalb. Letztere, beispielsweise Frauen aus Thailand, China, Kongo und Südafrika sind oftmals mit einem Österreicher verheiratet.

Wichtig für die Dauer des Verbleibs im Frauenhaus scheinen die persönlichen Ressourcen zu sein. Hat eine Frau genug Einkommen und/oder einen guten familiären Rückhalt, dann verkürzt sich oft die Aufenthaltsdauer im Frauenhaus. Frauen, die wenige Ressourcen haben, brauchen naturgemäß länger bis sie Geld für eine eigene Wohnung angespart haben. Oft muss erst ein Arbeitsplatz gefunden werden, dann braucht es eine Kinderbetreuung. Das hakt ganz oft. Die Arbeitszeiten werden immer „flexibler“, mitunter wird verlangt, dass Frauen beispielsweise zwischen 5.00 Uhr und 7.30 Uhr arbeiten und dann am Nachmittag nochmal – das ist mit Kindern kaum möglich, die noch nicht in der Lage sind, sich selbst zu versorgen. Aber auch von 6.00 Uhr bis 14.30 Uhr zu arbeiten stellt Frauen oftmals vor Probleme: Die Kinder müssen frühstücken und zu einer Tagesmutter oder in den Kindergarten gebracht werden. Diese Probleme wären politisch lösbar, sofern ein Wille vorhanden wäre.

Einen Alltag im Frauenhaus gibt es in dem Sinne nicht wirklich.

Wie sieht der Alltag bei euch aus? Welche Betreuungsangebote gibt es bei euch? Gibt es auch Angebote für die Kinder?

Eine Kollegin arbeitet im Kinderbereich. Sie macht Einzel- und Gruppenstunden mit den Kindern, Müttergespräche und unterstützt die Mütter im Dialog mit Schulen oder Kindergärten. Sie hilft auch bei gesundheitlichen Fragen.

Einen Alltag im Frauenhaus gibt es in dem Sinne nicht wirklich. Jeder Dienst ist anders. Heute sieht es beispielsweise so aus: Zwei Arbeiter bauen gerade die neuen Sicherheitstüren ein, denn das Land NÖ stellte einen Betrag für die Verstärkung der Sicherheitseinrichtung zur Verfügung. Später fahre ich noch zur Apotheke und hole Desinfektionssprays – auch außertourlich quasi. Es laufen ja nicht immer so gefährliche, hartnäckige Viren herum… Am Nachmittag findet eine Beratung statt und danach begleite ich eine andere Frau zum AMS (Arbeitsmarktservice).

Im Haus gibt es keine „Freizeitbetreuung“ für Frauen. Die Frauen leben mit ihren Kindern genauso selbständig und eigenverantwortlich im Frauenhaus wie vor und nach dem Frauenhaus.

Wie sieht das Leben nach dem Frauenhaus für die Betroffenen aus? Gibt es genug öffentliche Unterstützung für die Betroffenen?

Im Vergleich zum Angebot vor einigen Jahren gibt es heute immer mehr Unterstützung. Zum Beispiel gibt es Unterstützungen von den Gemeinden – auch wenn diese eher das Frauenhaus als die Frauen selbst unterstützen. Gemeindewohnungen in dem Sinn gibt es nicht mehr oder sehr selten. Es entwickelt sich jedoch die Zahl der privaten Unterstützer*innen ins Positive. Immer wieder melden sich Menschen, meistens sind es Frauen, ob wir Kleidung, Geschirr, Möbel oder ähnliches brauchen können. Auch die finanzielle Unterstützung mehrt sich. Ganz allgemein kann gesagt werden, dass immer mehr private Personen „an uns denken“, jedoch die öffentlichen Mittel beinahe gleich bleiben.

Jedoch läuft gerade eine sehr gefährliche Diskussion über die „Wichtigkeit der öffentlichen Unterstützung“ – dies vermutlich aufgrund der vielen Frauenmorde in Österreich. Ein Riesenproblem hier ist, dass manche Politiker*in meint, auf unser Fachwissen verzichten zu können, denn es reiche eine öffentliche Ausschreibung der Frauenhäuser. Das ist aber keine Unterstützung für Frauen, die von Gewalt betroffen sind. Es geht bei Gewaltschutz nicht um effizientes Arbeiten oder um Kostenersparnisse! Es geht um Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder! Es braucht viel Wissen und Erfahrung von uns Fachfrauen um wirklich gute Hilfe anbieten zu können!

Auch die Entwicklungen am Wohnungsmarkt haben starke Auswirkungen. Steigende Mietkosten bedeuten, dass Frauen länger im Frauenhaus bleiben müssen.

Haben sich die Kürzungen der Regierung Türkis-Blau bemerkbar gemacht? Falls ja, wie? Und wie sieht generell eure Finanzierung aus?

Die Kürzungen machen sich auf jeden Fall indirekt bemerkbar, beispielsweise durch die Verschärfungen der Sozialhilfe. Und der von der alten Regierung eingeführte Familienbonus hilft denen, die genug Einkommen haben. Der Großteil der Frauen bei uns verdienen zu wenig um ihn für sich in Anspruch nehmen zu können. Dies ist vor allem für die Armutsbekämpfung kontraproduktiv. Wir sind aber hauptsächlich über das Land NÖ finanziert. Frauenhäuser in NÖ werden über Sockel und Tagessätze finanziert. Zudem gibt es Förderungen von Ministerien. Dazu kommen private Spenden und Mitgliedsbeiträge.

Etwas das ich an diesem Punkt noch anmerken möchte ist, dass die „Väterrechtsbewegung“ in den letzten Jahren ziemlichen Fahrtwind aufgenommen haben. Das macht das Leben von Gewalt betroffenen Frauen schwer. Diese Bewegung erscheint mir unglaublich gut vernetzt zu sein.

Was muss in Österreich getan werden, damit Frauenhäuser obsolet werden und nicht mehr gebraucht werden müssen?

Ganz abschaffen wird wohl nie möglich sein. Ich bezweifle mittlerweile, ob es überhaupt je gelingen wird, dass Frauen bessere und sichere Bedingungen vorfinden werden. Wie lange kämpfen wir denn jetzt schon?

Auf jeden Fall braucht es aber gleiche Einkommen, eine gleiche Verteilung der Pflege- und Betreuungsarbeiten und gleiche Bedingungen auf den Arbeitsplätzen. Außerdem wäre eine bessere Vernetzung der Frauen untereinander auch hilfreich. Gerade das ist schwierig, weil fast alle Frauen durch ihren eigenen Alltag mitsamt Arbeit, Betreuungspflichten, prekärer finanzieller Situationen keine extra Ressourcen für Vernetzung aufbringen können.

Österreich verfügt in Bezug auf Gewaltschutz über sehr gute Gesetze. Das Problem hierbei ist, – und das erleben wir im Frauenhaus immer wieder – dass diese nicht oder nicht ausreichend angewandt werden. Trotzdem muss auch gesagt werden, dass die Polizei sehr bemüht ist, wenn es um Gewalt in der Familie geht. Es hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel in die richtige Richtung zum Schutz vor häuslicher Gewalt verändert und die Zusammenarbeit mit der Exekutive funktioniert mittlerweile gut. Gesamtgesellschaftlich braucht es auch eine Anerkennung der existierenden psychischen Gewalt, welcher viele Frauen ausgesetzt sind. Diese tritt in immer größerem Ausmaß aus.

Spenden für das Frauenhaus Neunkirchen

Möchten Sie das Frauenhaus unterstützen? Dies  können Sie hier tun: http://www.frauenhaus-neunkirchen.at/spenden.htm

 

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